BGH konkretisiert Organhaftung bei Derivategeschäften
"In einer neueren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) zu wichtigen Fragen der Organhaftung bei Zinsderivategeschäften Stellung genommen. Eine zentrale Frage war, wann Zinsderivategeschäfte noch zulässige Nebengeschäfte zur eigentlich verfolgten Geschäftstätigkeit sein können, eine andere die Darlegung und Berechnung des Schadens. Achim Glade und Martin Rücker (Glade Michel Wirtz) stellen die Entscheidung vor.
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In einer neueren Entscheidung hat der Bundesgerichtshof (BGH) zu wichtigen Fragen der Organhaftung bei Zinsderivategeschäften Stellung genommen. Eine zentrale Frage war, wann Zinsderivategeschäfte noch zulässige Nebengeschäfte zur eigentlich verfolgten Geschäftstätigkeit sein können, eine andere die Darlegung und Berechnung des Schadens. Achim Glade und Martin Rücker (Glade Michel Wirtz) stellen die Entscheidung vor.
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Anlass der Entscheidung war die Klage einer Hypothekenbank, die von ehemaligen Vorstandsmitgliedern Schadensersatz in dreistelliger Millionenhöhe forderte. Der Unternehmensgegenstand der Bank sah Derivategeschäfte nicht vor. Trotzdem schloss die Bank in der Amtszeit der beklagten Vorstandsmitglieder Zins-Swap-Vereinbarungen, Forward-Rate-Agreements und andere Zinsderivategeschäfte mit einem Gesamtvolumen weit über dem des Hypothekenbankgeschäfts, was für die Bank zu hohen Verlusten führte. In den Vorinstanzen war die Klage erfolglos. Das Berufungsgericht vertrat die Auffassung, die Bank habe nicht hinreichend substantiiert zum entstandenen Schaden vorgetragen; zudem ging es davon aus, dass sich die beklagten Vorstandsmitglieder pflichtgemäß verhalten hatten, da die Bank eine Strategie zur Absicherung von Zinsänderungsrisiken verfolgt habe. Den BGH überzeugte dies nicht. Er hielt die Anforderungen, die das Berufungsgericht an die Darlegung des Schadens stellte, für überzogen und es sehr wohl für möglich, dass seitens der beklagten Vorstandsmitglieder eine Pflichtverletzung vorlag. Der BGH hob das Berufungsurteil daher auf und verwies den Fall zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Darlegungs- und Beweislast
In der Entscheidung bestätigt der BGH zunächst seine bisherige, auf den aktienrechtlichen Vorgaben beruhende Sicht zur Darlegungs- und Beweislast in Organhaftungsfällen. Danach muss eine klagende Gesellschaft nur beweisen, dass ihr durch eine Handlung der beklagten Organmitglieder, die möglicherweise pflichtwidrig ist, ein Schaden entstanden ist. Gelingt ihr dies, ist es Sache der beklagten Organmitglieder, die Haftung abzuwenden, indem sie darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass sie nicht pflichtwidrig bzw. schuldhaft gehandelt haben oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre.
Pflichtverletzung wegen Hedging-Strategie?
Zentral sind die Ausführungen des BGH zur Frage der Einhaltung des Unternehmensgegenstandes. Der BGH erkennt an, dass auch solche Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand zu Derivategeschäften schweigt, zur Absicherung von Zinsänderungsrisiken aus der eigentlich verfolgten Geschäftstätigkeit Zinsderivate nutzen können. Mit erfreulicher Klarheit stellt der BGH zudem fest, dass nicht nur eine auf die individuelle Absicherung von Zinsrisiken gerichtete Strategie (Micro Hedging), sondern auch eine auf die Absicherung der kumulierten Zinsrisiken zielende Strategie (Macro Hedging) zulässig sein kann. Jedoch weist der BGH die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein bestimmtes Zinsderivategeschäft tatsächlich zu Absicherungszwecken (und damit noch im Rahmen des Unternehmensgegenstandes) getätigt wurde, den beklagten Vorstandsmitgliedern zu. Zugleich macht er deutlich, dass – sollten die Zinsderivategeschäfte zum Zwecke der selbstständigen Gewinnerzielung geschlossen worden sein – der Unternehmensgegenstand der Bank überschritten worden und den beklagten Vorstandsmitgliedern eine Pflichtverletzung zur Last zu legen sei.
Schadensberechnung
Mit Blick auf die Darlegung und Berechnung des Schadens verlangt der BGH von der klagenden Gesellschaft nicht, dass diese Gewinne aus anderen Zinsderivategeschäften von vornherein in Abzug bringt. Allerdings hält der BGH die Grundsätze der Vorteilsausgleichung für auf den aktienrechtlichen Organhaftungsanspruch entsprechend anwendbar, weshalb Gewinne und Verluste, die aus einer Reihe gleichartiger unzulässiger Spekulationsgeschäfte resultieren, grundsätzlich zu verrechnen sein sollen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen einer solchen Vorteilsanrechnung weist der BGH aber wiederum den beklagten Vorstandsmitgliedern zu. Zudem lehnt er eine Anrechnung von Gewinnen aus pflichtgemäßen Zinsderivategeschäften ausdrücklich ab.
Fazit
Organmitglieder von Unternehmen, deren Unternehmensgegenstand nicht auch spekulative Zinsderivategeschäfte mit erfasst, sollten die Entscheidung als Mahnung verstehen, Zinsderivate allenfalls zur Absicherung von Zinsänderungsrisiken aus der eigentlich verfolgten Geschäftstätigkeit einzusetzen und eine entsprechende Entscheidung – gemäß Business Judgement Rule – nur auf informierter und dokumentierter Grundlage zu treffen. Dass der BGH bei der Schadensberechnung die Möglichkeit einer Vorteilsanrechnung bejaht, ist sachgerecht und könnte künftig auch für andere Fälle der Organhaftung eine Rolle spielen. Die Ausführungen des BGH zur Darlegungs- und Beweislast lassen zudem erkennen, wie wichtig es für Organmitglieder sein kann, nach dem Ausscheiden aus dem Amt noch Zugang zu Firmendokumenten zu haben. Dieser Punkt sollte daher bereits im Dienstvertrag mit geregelt werden.
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