„Die Karten nicht vorschnell auf den Tisch legen“
Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht sind für Unternehmen zunehmend teuer geworden. Die Bußgelder, die die Europäische Kommission gegen überführte Mitglieder von Kartellen verhängt hat, sind unter der Ägide der früheren Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes tendenziell gestiegen. Zugleich haben die Wettbewerbshüter die Anreize für Unternehmen erhöht, durch Kooperation mit der Kommission die eigene Strafe zu reduzieren. Neben der Kronzeugenregelung ist das Vergleichsverfahren im Kartellrecht ein prominentes Beispiel dafür. Die Vor- und Nachteile für Unternehmen erläutert Götz Drauz, Partner der Kanzlei Howrey in Brüssel.
Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht sind für Unternehmen zunehmend teuer geworden. Die Bußgelder, die die Europäische Kommission gegen überführte Mitglieder von Kartellen verhängt hat, sind unter der Ägide der früheren Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes tendenziell gestiegen. Zugleich haben die Wettbewerbshüter die Anreize für Unternehmen erhöht, durch Kooperation mit der Kommission die eigene Strafe zu reduzieren. Neben der Kronzeugenregelung ist das Vergleichsverfahren im Kartellrecht ein prominentes Beispiel dafür. Die Vor- und Nachteile für Unternehmen erläutert Götz Drauz, Partner der Kanzlei Howrey in Brüssel.
„
Fünf Jahre nach der Vorstellung des Konzepts durch die damalige Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes schloss die EU-Kommission im Mai 2010 das erste kartellrechtliche Vergleichsverfahren ab. Sie verhängte Bußgelder in Höhe von insgesamt 331 Mio. Euro gegen zehn Hersteller von D-RAM-Speicherchips wegen verbotener Preisabsprachen. Das Verfahren kann als Bewährungsprobe für die Verständigung im Kartellrecht gelten. Es gibt somit auch Aufschlüsse da-rüber, was Gesellschaften künftig beachten sollten, wenn sie selbst ins Visier der Wettbewerbsbehörden geraten und erwägen, sich auf einen Vergleich einzulassen.
Vorbild US-Strafprozess
Das Vergleichsverfahren im Kartellrecht ähnelt dem Grunde nach dem Deal im US-amerikanischen Strafprozess. Bei entsprechender Kooperation der Betroffenen bzw. Beschuldigten mit den Ermittlungsbehörden winkt ein Strafnachlass. Vor allem soll das Verfahren insgesamt schneller zu einem Abschluss gebracht werden. Für die Anwendung im Bereich Kartellrecht hat die EU-Kommission das System in mehrfacher Hinsicht an das europäische Recht angepasst. Das Bußgeld am Ende des Verfahrens wird auch in diesem Fall nach der traditionellen Methode für Kartellstrafen kalkuliert, gewährt wird aber grundsätzlich ein Abschlag von 10% für die Unternehmen, wenn sie ihre Beteiligung am Kartell uneingeschränkt einräumen, auf bestimmte Verfahrensrechte verzichten und die Strafe innerhalb eines von der Kommission festgesetzten Rahmens akzeptieren.
Entscheidet sich ein Unternehmen dafür, sich auf das Vergleichsverfahren einzulassen, legt die Kommission im ersten Schritt ihre Vorwürfe offen. Das Unternehmen erhält dann Zugang zu den wesentlichen Unterlagen und kann dazu Stellung nehmen. Gleichzeitig muss es aber auch den Kartellverstoß vollumfänglich einräumen und die (maximale) Höhe des Bußgelds akzeptieren – ein Zurück gibt es danach nicht mehr.
Vor- und Nachteile abwägen
Für die Kommission hat das neue Vergleichsverfahren einige gewichtige Vorteile. So wird das Ermittlungsverfahren deutlich verkürzt und der Prozessweg vermieden. Denn geht ein Fall erst einmal vor Gericht, kann es mehrere Jahre bis zu einem Urteil dauern. Zudem werden dabei umfangreiche Ressourcen auf Seiten der Kommission gebunden.
Unternehmen, die kartellrechtliche Ermittlungen befürchten, sollten allerdings die Vor- und Nachteile im Einzelfall sorgfältig abwägen, bevor sie sich – im Zweifel vorschnell – auf ein Vergleichsverfahren einlassen. Denn zum einen müssen sie den Kartellverstoß eingestehen, bevor sie vollständige Akteneinsicht erhalten haben und ohne dass der Sachverhalt gerichtlich überprüft wurde. Viele Beschwerdeverfahren gegen kartellrechtliche Bußgelder enden damit, dass das Gericht Erster Instanz die Strafe erheblich reduziert, und zwar häufig um weit mehr als die 10% Abschlag, die das Vergleichsverfahren anbietet. Das Bußgeld ist im Vergleichsverfahren außerdem früher fällig als üblich, was die Liquidität des Unternehmens empfindlich treffen kann.
Andererseits ist die Vergleichsentscheidung weniger detailliert als die allgemeine Entscheidung im Kartellrecht. Das kann besonders von Vorteil mit Blick auf etwaige Schadenersatzklagen von Opfern des Kartells sein, die ihre Ansprüche häufig gerade auf Einzelheiten des Kartells stützen. Vor allem aber lässt sich im Laufe der Diskussion mit der Kartellbehörde innerhalb des Vergleichsverfahrens – wie der Fall der D-RAM-Speicherchips gezeigt hat – ein durchaus höherer Abschlag mit der Kommission aushandeln als die generell vorgesehenen 10%.
Kritikpunkt Verfahrensdauer
Trotz vieler positiver Aspekte bleibt ein gewichtiger Kritikpunkt bestehen: Das Ziel der verkürzten Verfahrensdauer hat der erste Fall noch nicht erreicht. Gute 15 Monate hat es bis zum Abschluss gedauert, deutlich länger als ursprünglich erwartet. So ist kritisch anzumerken, dass es noch Verbesserungsbedarf gibt, um den Prozess in Zukunft effizienter zu gestalten. Dies könnte etwa dadurch geschehen, dass die Kommission klarere Fristen setzt oder einen festen Zeitrahmen für die offiziellen Treffen zwischen Beteiligten und Kommission festlegt. Ein optimiertes Prozessmanagement könnte besonders in komplexen Kartellfällen, bei denen verschiedene Verstöße im Raum stehen und mehrere Unternehmen und Produkte betroffen sind, den Anreiz für die Unternehmen erhöhen, sich auf das Verfahren einzulassen und so schneller zu einem Ergebnis zu gelangen. Bis es soweit ist, ist es den Unternehmen zu raten, sorgfältig abzuwägen, ob das Vergleichsverfahren für sie wirklich der günstigere Weg ist und nicht zu vorschnell die Karten auf den Tisch zu legen.
„