Gastbeitrag

ESG in der Praxis – „Scorecards“ und viele Worte

Mit der seit März 2021 geltenden Offenlegungs-VO hat der europäische Gesetzgeber eine Grundlage für die Steuerung von Finanzentscheidungen hin zu einer nachhaltigen Investition gelegt. Noch haben die Finanzmarktteilnehmer weitgehende Freiheiten in der Umsetzung, denn aktuell fehlen konkret formulierte Maßnahmen von Seiten der EU. Welche Strukturen sich bereits herausgebildet haben und welche weiteren Schritte zu erwarten sind, erläutern Detmar Loff (Partner) und Tobias Bauerfeind (Associate) von Ashurst.

Detmar Loff und Tobias Bauerfeind
Detmar Loff und Tobias Bauerfeind © Ashurst

Für kleinere Unternehmen gilt die Offenlegungs-VO bereits seit März 2021, sie müssen die Anforderungen erfüllen oder aber deren Nichterfüllung erklären. Größere Unternehmen müssen die Vorgaben ab dem 30.6.21 erfüllen; die Möglichkeit der begründeten Nichterfüllung besteht hier nicht. Die Verpflichteten, d. h. Finanzmarktteilnehmer und -berater, die Investitionsentscheidungen treffen oder beeinflussen, haben derzeit aber noch weitgehende Freiheiten in der Umsetzung. Denn die Level-1-VO legt primär den gesetzlichen Rahmen und Prinzipien fest, lässt die Details aber noch offen. In der Praxis hat dies zu einem „best effort“-Ansatz geführt. Zukünftig wird auf Basis der Level-2-Regelungen hier wohl noch deutlich nachgeschärft (werden müssen).

Bisherige Umsetzung auf Verpflichtetenebene

Den „best effort“ erfüllen die Verpflichteten sehr unterschiedlich: Diejenigen, die eine begründete Nichtanwendung nutzen konnten, haben dies für bestehende Produkte ganz überwiegend getan. Im Rahmen der Umsetzung zeigte sich aber, dass ESG für Investoren wichtiger wurde, sodass einige Verpflichtete von der ursprünglich geplanten Nichtanwendung zu einer Minimalumsetzung umgeschwenkt sind; dies insbesondere, wenn zeitnah ein neues Produkt lanciert wurde. In der Umsetzung wurde überwiegend mit „Scorecards“ in sehr unterschiedlicher Detailtiefe gearbeitet, welche die verschiedenen ESG-Kriterien auf Produkt- und Unternehmensebene erfassen und bewerten. Ein Standard der Datenerfassung und -zuordnung hat sich hier noch nicht gebildet. Wieder andere Verpflichtete haben sehr umfangreiche ESG-Projekte umgesetzt und wollen die ESG-Kriterien nicht nur auf neue Produkte anwenden, sondern unterziehen auch die aktuellen Produkte einem umfassenden Scoring.

Anbieter aus Drittstaaten, die nicht direkt Verpflichtete sind, sondern nur über die nationalen Umsetzungsregeln verpflichtet werden können, um das Level-Playing-Field zu erhalten, hängen in der konkreten Umsetzung zum Teil deutlich hinterher, teilweise sind sie jedoch sogar weiter als viele inländische Anbieter. Die Spanne reicht hier von allgemeinen Hochglanzbroschüren, über generelle Bekenntnisse zu ESG ohne konkrete Hinterlegung bis hin zu sehr detaillierten Umsetzungen. Soweit EU-Investoren bei Drittstaatenanbietern konkretere Ausführungen verlangen, findet sich selbst nach Diskussionen (oft) bloß der Hinweis, dass ESG-Kriterien nur soweit berücksichtigt werden, wie diese den ökonomischen Interessen nicht entgegenstehen. Es ist unwahrscheinlich, dass die EU-Investoren diese Missachtung der Lenkungswirkung auf Dauer hinnehmen werden (können).

Zielinvestments und ESG-Ratings

Von zunehmendem Interesse ist das Thema ESG für potenzielle Zielinvestments, die weiterhin für o. g. Verpflichtete interessant sein möchten. Können diese die erforderlichen Daten nicht liefern oder zeigt sich, dass das Thema ESG nicht hinreichend im Unternehmen implementiert ist, sinkt deren Attraktivität. Die Lenkungswirkung strahlt mithin wunschgemäß über den Kreis der direkt Verpflichteten hinaus.

Aktuell sind die für die Berechnung der Auswirkungen erforderlichen Daten oft nicht direkt bei den Zielinvestments verfügbar. Das bedeutet, dass die Verpflichteten auf Drittdatenanbieter angewiesen sind, die für sich beanspruchen, auf die notwendigen Informationen Zugriff zu haben. Doch wie zuverlässig arbeiten solche unregulierten ESG-Ratingagenturen, gerade weil es (noch) keine einheitlichen (Daten-, Methoden- und Transparenz-)Vorgaben und keine (zentrale) Aufsichtsinstanz gibt? Dies könnte sich negativ auf den Grad der ESG-Umsetzung und die Harmonisierung nachhaltigkeitsbezogener Transparenz, auf Finanzprodukte, Kapitalallokation und Investitionsentscheidungen auswirken. Aus diesem Grund hat die ESMA Ende Januar 2021 einen europäischen Rahmen für ESG-Ratings vorgeschlagen und sich selbst als zuständige Aufsichtsbehörde für ESG-Ratings positioniert (wie sie es bereits für Kreditratings ist).

Dieser Vorschlag wurde weitgehend von den Anforderungen des bereits bestehenden EU-Regelwerks für Ratingagenturen geprägt. Es gibt deutliche Parallelen zwischen den Verfahrensweisen von ESG- und Kreditratinganbietern und den mit der EU-Ratingverordnung verfolgten Zielen in Bezug auf die Überwachung, den Anlegerschutz, Interessenkonflikte, Haftung und die Abhängigkeit der Marktteilnehmer.

Fazit

ESG wird die Verpflichteten dauerhaft verfolgen. Die gewünschte Lenkungswirkung zeigt sich bereits in Ansätzen, ist aber sicherlich noch ausbaufähig. In der Umsetzung haben sich bislang Scorecards als Mittel der Wahl bewährt. Aufgrund der Level-2-Maßnahmen ist mit Nachschärfungen zu rechnen, die auch bei künftigen ESG-Ratings von Bedeutung sein werden.

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