Friedenspflicht heißt Friedenspflicht
Den zwischen den beiden Tarifparteien Fraport und GdF bestehenden Tarifvertrag kündigte die GdF zum 31. Dezember 2011 teilweise, woraufhin ein neuer Tarifvertrag verhandelt wurde. Ein diesbezüglich durchgeführtes Schlichtungsverfahren endete mit einer für die GdF günstigen Empfehlung des Schlichters. Diese enthielt entsprechend den Schlichtungsverhandlungen auch Ergänzungen zu dem noch ungekündigten Teil des Tarifvertrages. Die GdF gab gegenüber Fraport am 15. Februar 2012 den Streik mit dem Ziel der Durchsetzung der (gesamten) Schlichterempfehlung bekannt. Damit wurde auch der noch ungekündigte und damit der Friedenspflicht unterliegende Teil des Tarifvertrags erfasst. Der Streik begann am 16. Februar und endete auf Grund einer am 28. Februar von Fraport gerichtlich beantragten und am 29. Februar ergangenen Unterlassungsverfügung. Infolge des Streiks fielen etwa 1 700 Flüge aus.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG stellt sich mit seiner Entscheidung gegen die beiden Vorinstanzen, die einen Schadensersatzanspruch von Fraport ablehnten. Das Landesarbeitsgericht Hessen und das Arbeitsgericht Frankfurt a.M. hatten sich dem Argument der GdF angeschlossen, die gleichen Schäden wären auch bei einem Streik ohne die noch der Friedenspflicht unterliegenden Forderungen eingetreten (rechtmäßiges Alternativverhalten). Beide Instanzgerichte hatten die Klage von Fraport vor diesem Hintergrund abgewiesen.
Entscheidung ist folgerichtige Fortführung
Das Urteil des BAG ist entgegen weitläufiger Einschätzung renommierter Arbeitsrechtler keine Überraschung, sondern eine folgerichtige Fortführung schon vor Jahrzehnten angelegter Rechtsprechung. So wies das BAG bereits 1957 (BAG Urteil v. 8. Februar 1957 – 1 AZR 169/55) das Argument des rechtmäßigen Alternativverhaltens einer Gewerkschaft zurück: „Würde man eine solche Einwendung zulassen, so würde man beinahe jeden Schadensersatzanspruch aus Tarifbruch illusorisch machen“. Ein Jahr später, 1958, urteilte das BAG erneut (Urteil v. 31. Oktober 1958 – 1 AZR 632/57), dass eine Verletzung der Friedenspflicht praktisch sanktionslos bliebe, wenn sich eine schon kurz vor Ablauf der Friedenspflicht streikende Gewerkschaft auf einen möglichen späteren – dann rechtmäßigen – Streik als Reserveursache berufen könne. Hier reiht sich nun konsequent das jetzige Urteil des BAG vom 26. Juli 2016 ein.
Das LAG Hessen stellte für den Streik der GdF noch heraus, der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens sei zwar grundsätzlich ausgeschlossen, allerdings lägen mit dem vorausgegangen Schlichtungsverfahren Besonderheiten vor, die eine Ausnahme rechtfertigten. Der Streik wäre, so das LAG Hessen, auch ohne die noch der Friedenspflicht unterliegenden Forderungen „zur gleichen Zeit, am gleichen Ort mit den gleichen Folgen geführt worden“. Rechtsdogmatisch überzeugend entgegnet das BAG nun, bei einem anderen Kampfziel handele es sich aber nicht um diesen, sondern um einen anderen Streik.
Damit wird in begrüßenswerter Weise Rechtssicherheit geschaffen und der gewerkschaftlichen Hintertür des rechtmäßigen Alternativverhaltens endgültig ein Riegel vorgeschoben, was eine erhebliche Verschiebung der Kampfparität zugunsten der Gewerkschaften verhindert. Der Eckpfeiler der Tarifautonomie – die Friedenspflicht – wird so vor einer Aushöhlung bewahrt. Die Gewerkschaft kann nicht im Nachhinein festlegen, für welche Forderungen sie nun gestreikt haben will. Damit könnte diese sich darin flüchten, sie hätte den Streik genauso mit den so ausgewählten rechtmäßigen Kampfzielen geführt, um Schadensersatzforderungen zu entgehen. Die Friedenspflicht gilt uneingeschränkt. Diese Erkenntnis trifft jetzt auch die eigentlich streikerfahrene GdF. Die Gewerkschaften werden daher in Zukunft besonnener agieren müssen und sollten ihre Streikforderungen und Streikziele vor Streikbeginn gründlich überprüfen.
Schadensersatzhöhe aber noch deutlich geringer
Letztlich wird die von Fraport beantragte Summe von 5,2 Mio. Euro Schadensersatz aber noch deutlich geringer ausfallen. Das LAG Hessen, an das die Sache zur Feststellung der Schadenshöhe zurückverwiesen wurde, warf Fraport bereits ein „erhebliches Mitverschulden“ vor, da trotz erkennbarer Rechtswidrigkeit des Streiks gerichtlicher Rechtsschutz erst nach zwei Wochen in Anspruch genommen worden sei. Dadurch habe sich der Schaden erheblich vergrößert.
Die Schadenersatzforderungen der Fluggesellschaften Lufthansa und Air Berlin gegen die GdF wurden vom BAG in Bestätigung seiner Rechtsprechung aus dem letzten Jahr (Urteil v. 25. August 2015 – 1 AZR 754/13) abgewiesen, da diesen als Drittbetroffene kein Schadenersatzanspruch gegen die streikführende Gewerkschaft zustehe.