„Gläserne Decke“ in der Finanzbranche besonders dick
In fast allen Branchen erklimmen Frauen seltener Führungspositionen als Männer. Doch nirgendwo ist die Diskrepanz so groß wie in der Finanzbranche. Das sind die Gründe.

Chefinnen sind in der Finanz- und Versicherungsbranche rar. Nur 15% aller Positionen in Vorständen und Geschäftsführungen sind hier von Frauen besetzt – dabei arbeiten in der gesamten Branche mit einem Anteil von 52% etwas mehr Frauen als Männer. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Forscherinnen Susanne Kohaut und Iris Möller sowie Forschungsbereichsleiter Michael Oberfichtner haben Daten von deutschlandweit rund 15.000 Firmen analysiert.

In keiner anderen Branche ist die Diskrepanz so groß wie im Finanzwesen. Zwar gibt es Branchen, in denen der Anteil von Managerinnen in der Spitze noch geringer ist, wie die Auswahl in unserer Grafik zeigt. In Baufirmen sind nur 11% der obersten Führungskräfte weiblich, im Großhandel und in Kfz-Unternehmen liegt der Wert bei 14%. Allerdings ist hier auch der Anteil der Frauen in der gesamten Belegschaft viel geringer. Die wenigen Frauen, die in diese Branchen streben, haben somit statistisch betrachtet bessere Aufstiegschancen als Frauen in der Finanzbranche. Die „gläserne Decke“ ist in Finanzunternehmen besonders dick.
Langsamer Wandel
Insgesamt sei der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Laufe der Jahre zwar gestiegen, sagt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Doch in Banken und Versicherern vollzog sich der Wandel langsamer als anderswo.
Die Wirtschaftsprofessorin beruft sich auf Daten des DIW. Demnach stieg der Anteil von Frauen in Führungspositionen in den 100 größten Banken von gerade einmal 2,5% im Jahr 2006 auf 16,8% im Jahr 2023. Zum Vergleich: In den 100 umsatzstärksten Unternehmen jenseits der Finanzbranche stieg der Anteil von winzigen 0,2% auf 19,4% – ebenfalls kein hoher Wert, aber etwas besser. Der Finanzsektor habe sich „weniger Mühe gegeben“, sagt sie.
„Man fördert das eigene Spiegelbild!“
Große Banken und Versicherer seien dabei schon weiter als kleinere Adressen, sagt Antje Kullrich, freiberufliche Medientrainerin für Führungskräfte, die auch mit der Initiative „Sie ist Sparkasse“ zusammenarbeitet. So seien große Konzerne, aber auch größere Sparkassen und Volksbanken viel eher kritischen Fragen ausgesetzt als kleine Adressen, wo kaum jemand hinsehe. „Der Druck ist hier nicht groß genug.“ Gerade im Kreis von Genossenschaftsbanken und Sparkassen sowie von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit vermutet sie eine „Buddy-Kultur“, also Seilschaften unter Männern. „Man fördert das eigene Spiegelbild.“
Daneben kursieren weitere Argumente, weshalb Frauen in der Finanzbranche selten aufsteigen: Eine Firmenkultur, die besonders den Wert von langen Arbeitszeiten betont, könnte gerade Teilzeitkräfte und damit eher Frauen bremsen, argumentiert DIW-Forscherin Wrohlich. In den USA sei der Effekt für die Finanzbranche bereits wissenschaftlich erforscht, in Deutschland sei ein ähnlicher Effekt zumindest denkbar.
Eine weitere Vermutung zirkuliert in der Finanzbranche: Demnach erschwert eine Finanzaufsicht, die Nachweise für Erfahrung in Führung und Fachthemen für Top-Positionen voraussetzt, womöglich einen raschen Aufstieg. Nach diesem Argument ist es für Frauen schwieriger, nach einer Karrierepause in hohe Positionen zu gelangen. Männer treten beruflich in der Phase der Familienplanung weniger zurück und haben somit mehr Zeit, Erfahrungen für den Lebenslauf einzusammeln.
Kapitänin auf der Brücke
Immerhin sind Bankchefinnen zwar noch immer selten, aber nicht mehr ungewöhnlich: Bettina Orlopp führt die Commerzbank, Marion Höllinger die HypoVereinsbank, Isabelle Chevelard die Targobank und Ingrid Hengster steuert Barclays in Deutschland. Eva Wunsch-Weber ist Kapitänin der Frankfurter Volksbank, der größten Volksbank des Landes. Nicht zu vergessen Dorothee Blessing, die früher J.P. Morgan in Frankfurt angeführt hatte und im Konzern mittlerweile zur alleinigen Leiterin des Bereichs Global Investment Banking Coverage befördert wurde.
Im Segment der Förderbanken verantwortet Nikola Steinbock die Landwirtschaftliche Rentenbank und Edith Weymayr die L-Bank in Baden-Württemberg. An der Spitze der NRW.Bank ist Gabriela Pantring als Nachfolgerin für den scheidenden Bankchef Eckhard Forst gesetzt. Im Chefinnensessel der Auskunftei Schufa, im weiteren Sinne ein Finanzunternehmen, sitzt Tanja Birkholz. Beachtliche Karrieren. Die meisten Managementgeschichten werden jedoch immer noch von Männern geschrieben.