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Kein Mittel gegen Marktmacht

Das Bundeskartellamt wird bis auf Weiteres im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen keine fusionskontrollrechtliche Prüfung einfordern. Eine Fusion kann daher auch ohne vorherige Freigabe durch das Bundeskartellamt vollzogen werden. Dieser Paradigmenwechsel stellt eine Reaktion auf ein Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15.9.11 dar.

Strittig war die Rechtmäßigkeit eines gegenüber einer gesetzlichen Krankenkasse erlassenen Auskunftsbeschlusses des Bundeskartellamts. Die Adressatin hatte im Januar 2010 bei einem gemeinsamen Presseauftritt mit insgesamt acht gesetzlichen Krankenkassen eine Erhebung von Zusatzbeiträgen angekündigt, woraufhin das Bundeskartellamt gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer kartellrechtswidrigen Abstimmung eröffnet hatte. Nach Ansicht der Darmstädter Richter war dieser Auskunftsbeschluss rechtswidrig und verletzt das Selbstverwaltungsrecht der gesetzlichen Krankenkasse. Begründet wurde diese Ansicht damit, dass das Kartellrecht auf die Wettbewerbsbeziehungen der gesetzlichen Krankenkassen untereinander im Verhältnis zu potentiellen Pflichtversicherten nicht anwendbar sei. Dem Bundeskartellamt fehle also eine Rechtsgrundlage auch und gerade für die praktizierte und umstrittene Fusionskontrolle bei den gesetzlichen Krankenkassen. Zuständig sei ausschließlich das Bundesversicherungsamt.

„Problematisch ist an diesem Ansatz, dass das Bundesversicherungsamt lediglich eine Rechtsaufsicht ausübt, aber keine fusionskontrollrechtliche Prüfung vornimmt,“ so Marc Besen, Kartellrechtspartner bei Clifford Chance. „Ob eine Fusion zweier oder mehrerer gesetzlicher Krankenkassen nachhaltig die Marktstruktur verschlechtert, wird demzufolge – jedenfalls nach gegenwärtiger Gesetzeslage – nicht mehr geprüft.“ Sollte hier tatsächlich eine Regelungslücke bestehen, gilt es diese schnell zu schließen. Diesem Erfordernis hat das Bundeskartellamt auch in seiner aktuell veröffentlichten Stellungnahme zum Referentenentwurf der 8. GWB-Novelle noch einmal Nachdruck verliehen.

„Keinesfalls kann aber der Schluss gezogen werden, dass sich gesetzliche Krankenkassen in einem komplett kartellrechtsfreien Raum bewegen“, so Besen weiter. Denn wie durch das Arzneimittelneuordnungsgesetz noch einmal klargestellt wurde, hat das deutsche Kartellrecht grundsätzlich Geltung. „Dies gilt nicht nur für das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, sondern auch für das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Die gesetzlichen Krankenkassen werden ihr Verhalten in diesem Bereich daher auch in Zukunft kartellrechtskonform ausgestalten müssen, wollen sie sich nicht der Gefahr empfindlicher Geldbußen ausgesetzt sehen.“

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