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Kronzeugen – EuGH entscheidet zu Akteneinsicht und Geldbußen

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Das Thema Kronzeugen beschäftigte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) kürzlich gleich in zwei Verfahren: der Fall Donau-Chemie und der Fall Schenker. Sebastian Oppolzer (Corinius LLP) hat sich beide Entscheidungen angesehen.

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Im Fall Donau Chemie ging es um das Recht auf Akteneinsicht in kartellrechtliche Verfahrensakten (Rs.: C-536/11). Das Oberlandesgericht Wien hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob es mit dem EU-Recht vereinbar ist, dass in Österreich Dritten nur dann Einsicht in Akten des Kartellgerichts gewährt wird, wenn alle Verfahrensbeteiligten zustimmen. Nein, entschied der EuGH, denn die Akteneinsicht praktisch in jedem Fall zu verwehren, verstoße gegen den Effektivitätsgrundsatz. „Eine Interessenabwägung des Richters im Einzelfall, wie sie der EuGH im Urteil Pfleiderer ausdrücklich fordert, kann der nationale Gesetzgeber nicht einseitig vorwegnehmen“, erläutert Sebastian Oppolzer von Corinius LLP. Das OLG Wien muss nun prüfen, wie nach österreichischem Recht alternativ ein Ausgleich zwischen den Interessen eines Kronzeugen auf Geheimhaltung und den Interessen desjenigen, der Akteneinsicht begehrt, gefunden werden kann.

In der Sache Schenker (Rs.: C-681/11) ging es um die Frage, inwiefern die Teilnahme an einem Kronzeugenprogramm vor einer Geldbuße schützt. Dazu entschied der EuGH, dass die Wettbewerbsbehörden auch dann, wenn das kartellrechtsverletzende Unternehmen an einem nationalen Kronzeugenprogramm teilgenommen hat, nur ausnahmsweise von einer Geldbuße absehen dürfen. In diesem Grundsatzurteil stellten die Richter außerdem fest, dass der vorsorglich eingeholte Rechtsrat eines Anwalts oder selbst die Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde keinen sicheren Vertrauensschutz bieten können – zumindest nicht im Hinblick auf etwaige Verstöße gegen Unionsrecht. „Im Kern ist die Entscheidung ein eindrückliches Beispiel dafür, wie ernst – und letztlich risikobehaftet – die sogenannte Selbsteinschätzung ist. Sogar wenn die nationale Ampel auf Grün steht, kann das Rot noch aus Brüssel bzw. Luxemburg kommen“, so Oppolzer. „Neben einer erneuten Klarstellung nationaler und europäischer Kompetenzen auf Behördenseite dürfte der EuGH vor allem auch darauf abzielen, Gefälligkeitsgutachten von Anwälten einen Strich durch die Rechnung zu machen. Dass damit letztlich auch eine seriöse Risiko(selbst)einschätzung gerade in Bereichen, in denen es noch keine gesicherte Rechtsprechung gibt, immer schwieriger wird, nehmen die Richter offenbar in Kauf.“

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