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„Lizenzgebühren werden uns noch beschäftigen“

Technisch komplexe Produkte fallen in der Regel in den Schutzbereich von Patenten. Dann können sie von Dritten nur hergestellt und vertrieben werden, wenn der Patentinhaber ein Nutzungsrecht in Form einer Lizenz gewährt. In bestimmten Branchen sind alle Unternehmen auf Patente ihrer Wettbewerber angewiesen. Damit einzelne Unternehmen nicht vom Wettbewerb ausgeschlossen werden, müssen grundlegende Schutzrechte allen Marktteilnehmern zugänglich sein. Dafür wurden Institute zur Schaffung einheitlicher Standards gegründet. In der Telekommunikationsbranche gibt es z. B. das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI). Die Mitglieder müssen sich gegenüber dem ETSI verpflichten, allen Unternehmen eine Lizenz an den Standards zu gewähren. Was geschieht aber,
wenn ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung ausnutzt und keine Lizenz erteilt? Julia Schönbohm (Partnerin) und Bettina Carr-Allinson (Counsel) von DLA Piper erläutern dazu ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH).

Der BGH hat entschieden, dass Patentinhaber unter bestimmten Voraussetzungen zur Erteilung einer Lizenz gezwungen werden können. Bestand diese Möglichkeit zuvor nicht?

Carr-Allinson: Im Patentgesetz sind Zwangslizenzen zwar vorgesehen (§ 24 Patentgesetz). Sie spielen in der Praxis aber kaum eine Rolle, weil die Anforderungen so hoch sind. Die Verwertung der Erfindung muss einen erheblichen Nutzen für die Allgemeinheit bringen. Das ist im medizinischen Bereich vorstellbar, z. B. wenn ein Patent für die Herstellung eines lebenswichtigen Medikaments zwingend erforderlich ist.

Schönbohm: Zwangslizenzen sind nicht neu, haben in jüngster Vergangenheit jedoch stark an Bedeutung gewonnen. Ein Patent gewährt ein Ausschließlichkeitsrecht. Dieses soll den Patentinhabern die Kommerzialisierung ihrer Erfindungen ermöglichen. So besteht ein Anreiz, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Es gibt immer mehr grundlegende Patente, auf die jedes Unternehmen angewiesen ist. Durch eine Weigerung der Patentinhaber, Lizenzen zu erteilen, können Unternehmen gezielt ausgeschlossen werden. Hier kommt das Kartellrecht zum Tragen.

Wie haben Zwangslizenzen dann an Bedeutung gewonnen?

Carr-Allinson: Um die Tragweite der BGH-Entscheidung zu verstehen, muss man wissen, was es mit den „Standards“, die vor allem im TK-Bereich relevant sind, auf sich hat. Hinter Begriffen wie „GSM“ oder „UMTS“ stecken tausende Patente. Handy-Produzenten sind auf zahlreiche Patente angewiesen, etwa um den Netzzugriff sicherzustellen. Organisationen wie das ETSI sorgen dafür, dass solche essenziellen Patente allen Marktteilnehmern zugänglich sind. Meldet ein Unternehmen ein Patent an und wird dieses als Standardpatent anerkannt, muss sich das Unternehmen gegenüber ETSI verpflichten, es jedermann zu so genannten FRAND- (fair, reasonable and non discriminatory) Bedingungen zu lizenzieren.

Schönbohm: Unabhängig von einer vertraglichen Verpflichtung, eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, kommt man bei grundlegenden Patenten über das Kartellrecht zu diesem Ergebnis. Die Weigerung kann ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sein, wenn andere auf das Schutzrecht angewiesen sind. Die Rechtsprechung zur kartellrechtlichen Zwangslizenz geht zurück auf den Europäischen Gerichtshof. Dieser hatte unter anderem in der Entscheidung IMS Health die Voraussetzungen formuliert, bei deren Vorliegen eine Pflicht zur Erteilung einer Lizenz besteht. Der Knackpunkt ist, wann und zu welchen Bedingungen anderen Zugang gewährt werden muss.

In dem „Orange Book-Fall“ hatte sich der Elektronikkonzern Philips geweigert, eine Lizenz für ein Standardpatent zu gewähren.

Schönbohm: In der Vergangenheit war unklar, was die Folgen einer missbräuchlichen Weigerung zur Vergabe einer Lizenz sind. Kann der Patentinhaber auf Unterlassung klagen? Wie wehrt sich das Unternehmen, das gerne eine Lizenz hätte? Und wie sind Unternehmen zu behandeln, die nur so tun, als wollten sie eine Lizenz? In der „Orange Book“-Entscheidung – benannt nach dem strittigen Standard – wurde erstmals eine aus dem Kartellrecht folgende Pflicht zur Vergabe von Lizenzen im Patentrecht bestätigt. Wer zur Erteilung einer Lizenz verpflichtet ist, kann andere nicht auf Unterlassung verklagen, wenn diese sich wie ein Lizenznehmer verhalten.

Carr-Allinson: Vor dem Urteil konnte man nur damit rechnen, dass der Schadenersatzanspruch regelmäßig verneint wurde. Der Unterlassungsanspruch konnte durchgesetzt werden, mit oft gravierenden Folgen. Wenn die Herstellung eingestellt werden muss, gefährdet das schnell die Existenz.

Schönbohm: Es war bisher nicht unüblich, eine Klage abzuwarten und dann zu argumentieren, dass der Kläger zur Erteilung einer Lizenz verpflichtet sei. Das geht jetzt nicht mehr. Will man sich auf die kartellrechtliche Zwangslizenz berufen, muss man sich wie ein „normaler“ Lizenznehmer verhalten. Ein Lizenznehmer zahlt Lizenzgebühren und legt Rechnung.

Sind damit alle Streitfragen geklärt?

Carr-Allinson: Nein. Die Höhe der Lizenzgebühren wird die Gerichte sicher noch beschäftigen. Der Lizenznehmer muss Lizenzgebühren hinterlegen. Unklar ist, wie diese berechnet werden. Es wird spannend zu sehen, wie das in der Praxis gelöst wird.

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