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Mehr Klarheit, aber keine Revolution

Die EU-Kommission hat in den vergangenen Jahren die Kartellverfolgung mit immer höheren Bußgeldern deutlich verschärft. Dies führte zu der Debatte, inwiefern das bestehende Verfahren rechtsstaatlichen Anforderungen genügt und ob nicht die Verfahrensrechte betroffener Unternehmen verbessert werden müssten. In der Kritik stehen vor allem die Doppelrolle der Kommission als Ermittlungs- und Sanktionsbehörde sowie die Intransparenz des Kartellverfahrens. Inzwischen hat die Kommission reagiert und ein Maßnahmenpaket zur Vorgehensweise in Kartellverfahren veröffentlicht. Michael Holzhäuser von Dewey & LeBoeuf hat es sich genauer angeschaut.

Bereits im Jahr 2010 hatte die EU-Kommission „Best Practice“-Papiere, d. h. Verwaltungsregeln mit praktischen Hinweisen zur Vorgehensweise in Kartell- und Missbrauchsverfahren, veröffentlicht und diese Mitte 2011 durch die Ankündigung ergänzt, man wolle die Zusammenarbeit mit den Parteien im Kartellverfahren weiter verbessern und die Mechanismen zur Wahrung ihrer Verfahrensrechte stärken. Im Oktober hat die Kommission schließlich ihre überarbeitete „Bekanntmachung über bewährte Vorgehensweisen in Kartellverfahren“ veröffentlicht. Diese sieht tatsächlich einige wichtige Neuerungen vor. Für eine „Revolution“ im Kartellverfahrensrecht sah die Kommission dagegen explizit keine Notwendigkeit.

Verbesserte Information

Einige Erleichterungen beziehen sich auf die Informations-rechte der Beteiligten. Unternehmen, die von einer kartellrechtlichen Untersuchung betroffen sind, sollen bei Beschwerden von Dritten noch vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte Zugang zu den Hauptunterlagen erhalten, d. h., sie können die nicht-vertraulichen Fassungen der von den Beschwerdeführern eingereichten Dokumente oder ökonomische Studien einsehen. Besprechungen zwischen der Kommission, den Parteien und eventuell auch den Beschwerdeführern zum Stand des Verfahrens, die heute bereits in Fusionskontrollverfahren üblich sind, werden auf Kartellsachen ausgeweitet. Telefonkonferenzen oder Treffen sollen regelmäßig kurz nach der Einleitung des förmlichen Verfahrens, zwischen der Einleitung des Verfahrens und der Mitteilung der Beschwerdepunkte und nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte angeboten werden.

Bereits in der Mitteilung der Beschwerdepunkte werden die betroffenen Unternehmen über die wichtigsten Punkte informiert, nach denen sich eine drohende Geldbuße bemisst. Bislang konnten sie die einzelnen Parameter für die Bußgeldbemessung, wie etwa die zugrundegelegten kartellrelevanten Absatzzahlen oder Ausführungen zu Dauer und Schwere des Verstoßes nicht im Einzelnen nachvollziehen. Zudem wurde die Höhe des Bußgeldes erst nach der mündlichen Anhörung festgelegt und den Unternehmen mit der abschließenden Entscheidung der Kommission bekanntgegeben. In Zukunft ist es für sie leichter, frühzeitig Argumente gegen die Höhe der drohenden Geldbuße vorzubringen. Die genaue Höhe der Geldbuße erfahren die Unternehmen jedoch nach wie vor erst mit der Entscheidung.

Das Mandat des Anhörungsbeauftragten (Hearing Officer) wurde gestärkt und erweitert. Als Schiedsrichter ist er von der Generaldirektion Wettbewerb unabhängig sowie direkt dem EU-Kommissar für Wettbewerb unterstellt und kann von den Parteien bei Meinungsverschiedenheiten mit den Fallbearbeitern der Kommission angerufen werden. Der Hearing Officer soll künftig von Anfang an in die Untersuchungen involviert werden und nicht erst ab der offiziellen Mitteilung der Beschwerdepunkte. In dieser Phase kann er vor allem auch in Streitfragen um die Zuerkennung des Anwaltsprivilegs (legal privilege) einbezogen werden. Hintergrund hierfür ist, dass auch in Kartelluntersuchungen die Korrespondenz zwischen Rechtsanwälten und Mandanten grundsätzlich geschützt ist und von der Kommission nicht beschlagnahmt werden darf. Ist bei kartellrechtlichen Durchsuchungen streitig, ob einzelne Dokumente unter den Schutz des Anwaltsprivilegs fallen, können diese nun in einem versiegelten Umschlag dem Anhörungsbeauftragten zur Klärung übergeben werden. Auch kann mit ihm abgestimmt werden, ob ein betroffenes Unternehmen einem Auskunftsersuchen der Kommission nachkommen muss oder ob es sich darauf berufen kann, dass es sich nicht selbst belasten muss.

Unabhängigkeit des Anhörungsbeauftragten

Um die Unabhängigkeit der Anhörungsbeauftragten weiter zu stärken, sollen sie auch außerhalb der EU-Kommission rekrutiert werden können. Auch künftig wird ihnen aber nicht die Aufgabe eines Richters zuerkannt, der inhaltlich über den Fall entscheidet. Eine mit Blick auf das Gewaltenteilungsprinzip und die Doppelrolle der Kommission sowie die immer mehr Kriminalstrafen ähnelnden Geldbußen oft geforderte institutionelle Trennung von Ermittlung und Strafe findet auch künftig nicht statt. Schließlich beinhaltet das Maßnahmenpaket weitere Regeln für das Verfahren zur Einreichung wirtschaftlichen Beweismaterials. Beschlüsse über die Abweisung von Beschwerden werden künftig vollständig oder als Zusammenfassung veröffentlicht.

Das Maßnahmenpaket der Kommission stellt insgesamt einen wichtigen Schritt zur Reform des Kartellverfahrens dar, wenngleich nicht alle Kritikpunkte im Hinblick auf ein rechtsstaatliches Kartellverfahren beseitigt wurden.

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