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Mitbestimmung in Unternehmen auf dem Prüfstand

Das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) beschränkt das aktive und passive Wahlrecht zum Aufsichtsrat deutscher Kapitalgesellschaften auf Arbeitnehmer, die in Betrieben in Deutschland beschäftigt sind. Der EuGH befasst sich nun mit der Frage, ob diese Beschränkung mit dem Europarecht im Einklang steht. Es ist nicht auszuschließen, dass der EuGH die maßgeblichen Bestimmungen des MitbestG als mit Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Art. 45 AEUV (Arbeitnehmerfreizügigkeit) unvereinbar ansehen wird. Hagen Köckeritz, Partner im Bereich Arbeitsrecht bei Baker McKenzie, analysiert die bevorstehende Entscheidung.

Von den rd. 50 000 Arbeitnehmern, die der TUI-Konzern in Europa beschäftigt, sind ca. 10 000 in Deutschland tätig. Nur diese sind bislang bei der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat berücksichtigt worden. Dies steht im Einklang mit der traditionellen Auslegung und Handhabung der Bestimmungen des MitbestG. Danach sind aktiv und passiv wahlberechtigt allein diejenigen Arbeitnehmer, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind.

TUI – Statusverfahren in Deutschland
Ein TUI-Kleinaktionär ist der Auffassung, dass die maßgeblichen Bestimmungen des MitbestG gegen Europarecht verstoßen und deshalb nicht angewendet werden dürfen. Aus seiner Sicht wäre der Aufsichtsrat der TUI AG allein mit Vertretern der Anteilseignerseite zu besetzen. Im eingeleiteten Statusverfahren hatte das Landgericht Berlin den Antrag im Juni 2015 zurückgewiesen. Der Kleinaktionär hatte gegen die Entscheidung Beschwerde eingelegt. Das Kammergericht Berlin hat das Verfahren über die Beschwerde ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es unter Gesichtspunkten des Diskriminierungsverbots und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer vereinbar sei, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die im Inland beschäftigt sind.

Das Kammergericht hält einen Verstoß gegen Europarecht für möglich. Zum einen könnten die deutschen Mitbestimmungsregelungen eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellen. Bei unternehmerischen Entscheidungen, an denen der Aufsichtsrat beteiligt ist und die über das Inland hinauswirken, bestehe die Gefahr, dass einseitig die Interessen der in Deutschland beschäftigen Arbeitnehmer berücksichtigt würden. Dies kann mittelbar eine Diskriminierung von Arbeitnehmern mit anderer Staatsangehörigkeit zur Folge haben. Im Falle von TUI ist das von besonderem Gewicht, da ca. 4/5 der Arbeitnehmer im Ausland tätig sind. Zum anderen könne auch das Recht auf Freizügigkeit beeinträchtigt sein, da der drohende Verlust der Mitgliedschaft in einem Aufsichtsorgan Arbeitnehmer davon abhalten könnte, einen Arbeitsplatz außerhalb Deutschlands anzunehmen.

Warten auf den Generalanwalt
Die EU-Kommission hatte sich zunächst dahingehend geäußert, dass eine Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts mit Blick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit mit Unionsrecht unvereinbar sei, wenn das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer bei objektiver Betrachtung auch Sachverhalte erfasse, die nicht auf das Inland beschränkt sind, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten vorliegen können.

In der Anhörung am 24.01.2017 äußerte sich die EU-Kommission zurückhaltender. Sie hält zwar weiter daran fest, dass die deutsche Unternehmensmitbestimmung die Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränke und auch ein Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot in Betracht komme. Aus Sicht der Kommission könne eine Beschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern jedoch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden, das System der Mitbestimmung und dessen soziale Ziele zu schützen. Abzuwarten bleiben die Schlussanträge des Generalanwalts, die für den 04.05.2017 angekündigt sind. Zwar ist der Gerichtshof an die Schlussanträge nicht gebunden und kann auch abweichend entscheiden. In der Regel schließt sich der Gerichtshof jedoch den Schlussanträgen an.

Folgen bei Europarechtswidrigkeit
Sollte der EuGH die Wahlvorschriften des MitbestG für europarechtswidrig halten, wird es darauf ankommen, ob die maßgeblichen Bestimmungen durch die deutschen Gerichte unionsrechtskonform ausgelegt werden können. Anders als das Landgericht Frankfurt am Main (Beschluss vom 16.02.2015 – nicht rechtskräftig) hält das Kammergericht Berlin eine solche unionsrechtskonforme Auslegung nicht für möglich. Folge wäre, dass das MitbestG wegen Verstoßes gegen EU-Recht unanwendbar wäre. Paritätisch besetzte Aufsichtsräte in Unternehmen mit mehr als 2 000 Arbeitnehmern wären fehlerhaft besetzt. Die Zusammensetzung müsste in individuellen Statusverfahren überprüft werden, bevor Aufsichtsratssitze neu vergeben werden können. Die Entscheidung des EuGH wird mit Spannung erwartet. Der Ausgang des Verfahrens dürfte auch Auswirkungen auf die weitere Frage haben, ob Arbeitnehmer in anderen EU-Mitgliedstaaten künftig bei den Schwellenwerten nach Drittelbeteiligungsgesetz (500) und MitbestG (2 000) zu berücksichtigen sind. Hierzu braucht sich der EuGH im vorliegenden Verfahren nicht zu äußern. Sollte das aktive und/oder das passive Wahlrecht auf Arbeitnehmer außerhalb Deutschlands auszuweiten sein, wäre die Berücksichtigung dieser Arbeitnehmer bei den Schwellenwerten nur konsequent.

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