Neues Grünbuch der EU zur Corporate Governance
"Vor einem Jahr erschien das Grünbuch der EU-Kommission zur Corporate Governance in Finanzinstituten. Nur wenige Unternehmen außerhalb des Finanzsektors haben damals die Gelegenheit genutzt, im Rahmen des Konsultationsprozesses zum Grünbuch 2010 Stellung zu nehmen, vielleicht weil ihnen das Bewusstsein dafür fehlte, dass die Hälfte der Themen über den Finanzsektor hinaus Anwendung finden könnte. Nun hat die Kommission erneut ein Grünbuch zur Corporate Governance, das Grünbuch 2011, mit 25 Konsultationsfragen veröffentlicht. Einen Überblick zu den wichtigsten Themen gibt Daniela Weber-Rey, Partnerin bei Clifford Chance.
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Vor einem Jahr erschien das Grünbuch der EU-Kommission zur Corporate Governance in Finanzinstituten. Nur wenige Unternehmen außerhalb des Finanzsektors haben damals die Gelegenheit genutzt, im Rahmen des Konsultationsprozesses zum Grünbuch 2010 Stellung zu nehmen, vielleicht weil ihnen das Bewusstsein dafür fehlte, dass die Hälfte der Themen über den Finanzsektor hinaus Anwendung finden könnte. Nun hat die Kommission erneut ein Grünbuch zur Corporate Governance, das Grünbuch 2011, mit 25 Konsultationsfragen veröffentlicht. Einen Überblick zu den wichtigsten Themen gibt Daniela Weber-Rey, Partnerin bei Clifford Chance.
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Das Grünbuch 2011 erläutert die Verantwortung der Unternehmen gegenüber der Gesellschaft. Diese Verantwortung wurde in der Finanzkrise besonders enttäuscht. Die EU-Kommission hält es daher für erforderlich, auch über den Finanzsektor hinaus die Unternehmen für vertrauensbildende Maßnahmen zu gewinnen. Hierzu zählt sie die Corporate Governance, aber auch ein Bekenntnis zur sozialen Verantwortung der Unternehmen. Das Grünbuch 2011 ist in drei Themenkomplexe gegliedert: die Verbesserung der Arbeit des Aufsichtsrats, die Stärkung der Kontrolle durch die Aktionäre und die Steigerung der Qualität der Entsprechenserklärung zur Corporate Governance im Rahmen des comply or explain-Ansatzes.
Höhere Anforderungen an das Risikomanagement
Die EU-Kommission will die Aufsichtsräte deutlich mehr in die Pflicht nehmen und sie zwingen, ihrer Rolle als „Schlüsselfaktor im Machtzentrum“ der Corporate Governance nachzukommen. Deutschland hat hier seit 1998 (KonTraG), unterstützt auch durch unseren Corporate Governance-Kodex, ohnehin die Anforderungen stetig erhöht. Mehr ist nicht erforderlich. Allerdings werden durch das Grünbuch 2011 insbesondere die Anforderungen an das Risikomanagement deutlich größer – als Konsequenz aus der Finanzkrise, aber auch als Reaktion auf die Katastrophen im Golf von Mexiko und in Fukushima. Die EU-Kommission stellt zur Diskussion, ob der Aufsichtsrat das Risikoprofil des Unternehmens billigen und ob er Vorkehrungen für die Wirksamkeit des Risikomanagements treffen sollte. Aus deutscher Sicht muss Risikomanagement Sache des Vorstands bleiben. Aber für den Aufsichtsrat kann es auch im dualistischen System durchaus sinnvoll sein, das Risikoprofil mitzutragen und Risikokohärenz nachzuhalten, d. h. zu überprüfen, ob das festgelegte Risikoprofil und das tatsächliche Risikoverhalten in Einklang stehen. Es bedürfte nur einer kleinen Anpassung z. B. des § 107 Abs. 3 AktG. Eine weitere Erwägung der Kommission betrifft die Evaluierung der Arbeit des Aufsichtsrats mit Hilfe externer Berater. Hier bleibt, ebenso wie bei einer Stärkung der Rolle des Aufsichtsratsvorsitzenden, die Rechtslage in Deutschland hinter den Erwägungen der EU-Kommission zurück.
Aktionäre denken häufig zu kurzfristig
Auf der Aktionärsebene bemängelt die EU-Kommission das fehlende Engagement und zu häufiges Kurzfristdenken der institutionellen Anleger. Es mag zwar sein, dass Aktionäre sich nicht wie erwartet verhalten haben und dass sich einige von kurzfristigen Anlagestrategien treiben lassen. Eine Änderung dieser Situation kann aber nicht durch oberflächliche Anpassungen erreicht werden. Das Gesellschaftsrecht und auch das Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapitalgebern müsste grundsätzlich überdacht werden. Dies sollte allerdings den nationalen Gesetzgebern überlassen bleiben.
Qualitätssteigerung der Entsprechenserklärungen
Der dritte Themenkomplex des Grünbuchs 2011 betrifft die Qualität und Überprüfung der jährlichen Entsprechenserklärung. Durch die Jahresabschlussrichtlinie von 2006 waren die Mitgliedstaaten aufgefordert worden, bis September 2008 einen comply or explain-Mechanismus einzuführen. Spätestens seitdem sind (zumindest) börsennotierte Unternehmen verpflichtet, jährlich zu erklären, ob sie den Empfehlungen des Kodex entsprochen haben und dies weiter tun werden. Bei einer Nichtbefolgung müssen sie angeben, warum der Em-pfehlung nicht entsprochen wurde oder wird. Nun wird diskutiert, ob die Erklärungen im Falle der Abweichung von Kodexempfehlungen alternative Governance-Lösungen im Unternehmen darstellen sollen. Diese Verschärfung würde Kodexregelungen, wegen des Aufwands im Falle der Abweichung, quasi zu zwingendem Recht machen. Daneben bemängelt die EU-Kommission die Qualität der derzeit unterbreiteten Erklärungen. Diese dürften präziser und aussagekräftiger sein, wenn sie durch Überwachungsbehörden überprüft würden. Damit soll die erforderliche Transparenz sichergestellt werden. Die Überwachung der Erklärungen durch eine Aufsichtsbehörde wäre allerdings der falsche Weg. Wie die EU-Kommission im Grünbuch 2011 richtig anmerkt, ist in vielen Mitgliedstaaten bereits eine Verbesserung der Qualität der Entsprechenserklärungen zu beobachten. Es handelt sich um einen Anpassungsprozess, der auch ohne eine Aufsichtsbehörde optimiert werden kann. Nachdem zum Grünbuch 2010 nur in geringem Maße Stellung genommen wurde, haben die Unternehmen und andere interessierte Parteien nun bis zum 22.7.11 erneut die Gelegenheit sich zu Wort zu melden. Davon wird hoffentlich rege Gebrauch gemacht, denn es ist erforderlich, durch breites Engagement deutlich zu machen, dass unternehmerische Freiheiten nicht durch zu weitgehende Corporate Governance-Regelungen unangemessen eingeengt werden dürfen.
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