„Rechtsprechung wird schärfere Konturen bekommen“
„
Warum berichten Sie als Prozessrechtler uns über die Business Judgment Rule? Ist das nicht etwas für Ihre Kollegen aus dem Gesellschaftsrecht?
Natürlich spielt die Business Judgment Rule in der Beratungspraxis eine große Rolle. Sie soll Manager bei unternehmerischen Entscheidungen davor schützen, allzu leicht auf Schadenersatz in Anspruch genommen zu werden. Im Zuge der Finanzkrise werden solche Entscheidungen von den Gerichten aber „auf den Prüfstand“ gestellt. Dann kommen wir Prozessrechtler ins Spiel. Ich nehme aber durchaus für mich in Anspruch, auch gesellschaftsrechtlich zu arbeiten – nur ist mein Ansprechpartner im Wesentlichen der Richter, nicht der Manager. Auch unterscheidet sich meine Perspektive. Meine beratenden Kollegen blicken nach vorn, ich zurück – wie ein Pathologe.
Was heißt Business Judgment Rule überhaupt?
Dem Mitglied eines Gesellschaftsorgans, also etwa dem Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft, kommt bei unternehmerischen Entscheidungen ein gewisser Ermessensspielraum zu. Auch wenn sich seine Entscheidung im Nachhinein als Fehlschlag herausstellt und der Gesellschaft Schäden entstehen, ist der Manager, wenn er sich innerhalb dieses Spielraums bewegt hat, vor Schadenersatzansprüchen geschützt. Dazu muss er allerdings davon ausgehen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, und die Entscheidung vernünftig vorbereitet haben.
Also ein Freibrief, auf Kosten der Gesellschaft zu spekulieren und die Investoren, vielleicht sogar den Steuerzahler, die Zeche zahlen zu lassen?
Nein, keineswegs. Zunächst ist der Anwendungsbereich der Business Judgment Rule auf unternehmerische Entscheidungen, z. B. eine bestimmte Investition, begrenzt. Überall dort, wo es um gebundene Entscheidungen geht, es also spezifische gesetzliche Vorgaben gibt, etwa im Bereich der Information des Kapitalmarktes oder beim Betrieb gefährlicher Anlagen, besteht kein Ermessensspielraum. Wer also Schäden bei seiner Gesellschaft dadurch auslöst, dass er den Kapitalmarkt falsch oder zu spät informiert, haftet. Außerdem sind die Anforderungen der Rechtsprechung an die Entscheidungsvorbereitung sehr streng. Der Manager muss die für seine Entscheidung maßgeblichen Kriterien ermitteln und abwägen. Das Ergebnis muss unternehmerisch vertretbar sein. Und natürlich darf der Manager dabei nicht in die eigene Tasche wirtschaften.
Was bedeutet das praktisch, also vor Gericht?
Vor Gericht spielt die so genannte Darlegungs- und Beweislast eine bedeutende Rolle. Oft entscheidet sich an ihr der Ausgang eines Rechtsstreits. Vereinfacht gesprochen, muss die Gesellschaft nur beweisen, dass die (Fehl-)Entscheidung des in Anspruch genommenen Managers zu einem Schaden geführt hat. Umgekehrt muss dann der Manager beweisen, dass er eine unternehmerische Entscheidung getroffen hat, die im Unternehmensinteresse lag, und er auf Basis einer angemessenen Informationsbasis davon ausgehen konnte, ein vertretbares Risiko einzugehen. Das setzt natürlich voraus, dass die damals getroffene Entscheidung vernünftig dokumentiert wurde. Nur dann kann der Manager später zu seiner Verteidigung darauf zurückgreifen.
Was wird in der Praxis falsch gemacht?
Wichtig ist, dass der Manager für die getroffene Entscheidung tatsächlich zuständig ist. Oft sehen Gesetze, Satzungen oder eine Geschäftsordnung vor, dass die Zustimmung anderer Organe (etwa des Aufsichtsrats) erforderlich ist. Im Unternehmensalltag ist deren Befassung mit der Entscheidung aus Sicht des Managers aber manchmal politisch nicht opportun, und er entscheidet allein. Geht dies schief, darf der Manager sich nicht wundern, wenn ihn eben dieser Aufsichtsrat in die Haftung nimmt. Auch werden extern angefertigte Gutachten von den Gerichten daraufhin überprüft, ob sie eine taugliche Entscheidungsgrundlage bilden. Das Gutachten muss auf einem zutreffenden und vollständigen Sachverhalt basieren. Auch müssen die fachlichen Schlussfolgerungen nachvollziehbar und widerspruchsfrei sein. Das sind sie in der Praxis häufig nicht. Gefälligkeitsgutachten jedenfalls nützen nichts.
Was erwarten Sie im Hinblick auf die Business Judgment Rule in der näheren Zukunft?
Die Zahl der von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle wird ansteigen. Interessanterweise gibt es bisher nur wenige Fälle, die die Haftung von Vorstandsmitgliedern bei Aktiengesellschaften betreffen. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise und unter dem Druck von Investoren und Öffentlichkeit ist allerdings davon auszugehen, dass Aufsichtsräte künftig vermehrt agieren und Vorstandsmitglieder in Haftung nehmen. Der Bundesgerichtshof wird dann Gelegenheit haben, seiner Rechtsprechung zur Business Judgment Rule schärfere Konturen zu verleihen. Insbesondere werden wir meines Erachtens mehr zu den Anforderungen an die Entscheidungsvorbereitung hören. Das Ergebnis wird nicht jedem gefallen.
„