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Tarifeinheitsgesetz – quo vadis?

Nach der ersten Lesung zum geplanten Tarifeinheitsgesetz im Bundestag Anfang März fand am 4.5.2015 eine öffentliche Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Bundestages statt. Insgesamt reichte das Meinungsspektrum der angehörten Sachverständigen zum Gesetzesentwurf von Verfassungsmäßigkeit bis hin zur Verfassungswidrigkeit.

Während der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit hat, sieht der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum nicht nur keine Notwendigkeit für das Tarifeinheitsgesetz, sondern in der Konsequenz auch das Streikrecht in Gefahr. Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als auch die Arbeitgeberverbände (BDA, BDI und DIHK) befürworten indessen den Gesetzentwurf.

Nach der Reform sollen für ein und dieselbe Arbeitnehmergruppe nicht mehr unterschiedliche Tarifverträge miteinander konkurrierender Gewerkschaften gelten können, sondern vielmehr der Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ Anwendung finden. Kleine und Berufsgruppengewerkschaften sehen sich dadurch in ihrer Existenz gefährdet und üben entsprechend massiv Kritik an dem Vorhaben. Nach dem Gesetzentwurf soll zwar das Gehör für die Minderheitsgewerkschaften bei den Tarifverhandlungen der Mehrheitsgewerkschaft gewährleistet werden. Sie sollen sich aber mit der Mehrheitsgewerkschaft abstimmen müssen und im Zweifel deren Tarifverträge inhaltsgleich nachzeichnen. Gelingt dies nicht – wie aktuell zwischen der Lokführergesellschaft GDL und der größeren Eisenbahnergewerkschaft EVG –, soll der mit der Mehrheitsgewerkschaft abgeschlossene Tarifvertrag gelten. „Ob dieser Grundsatz an sich ebenso wie die konkrete Ausgestaltung des Gesetzesentwurfs mit der verfassungsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit dann verdrängter Minderheitsgewerkschaften vereinbar ist, ist höchst streitig“, sagt Martin Greßlin, Partner von SKW Schwarz Rechtsanwälte in München. „Die Argumente für eine Verfassungswidrigkeit des gegenwärtigen Gesetzentwurfs wiegen schwer. Darüber hinaus ist aber auch äußerst zweifelhaft, ob die vorgesehenen Konfliktlösungsmechanismen zwischen konkurrierenden Gewerkschaften tatsächlich zum verdeckten Gesetzesziel – der Begrenzung von Arbeitskämpfen von Minderheitsgewerkschaften wie etwa Berufsgruppengewerkschaften – führen werden“, so der Münchener Arbeitsrechtler weiter. Auch insoweit bestehe grundlegender Änderungsbedarf am Gesetzesentwurf.

Das Gesetzgebungsverfahren soll bis zum Sommer abgeschlossen werden. „Ohne grundlegende Änderungen am gegenwärtigen Gesetzesentwurf wird auch die Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes nicht Ruhe und Rechtssicherheit für das Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht bringen“, vermutet Greßlin. Nach der bislang geäußerten teils heftigen Kritik stehe zu erwarten, dass zeitnah nach einem Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingelegt werde. Eine entsprechende Ankündigung liegt bereits vor.

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