Allgemein

Verhindert „Emmely“ fristlose Kündigungen wegen sexueller Belästigung?

Früher hat jedes (auch geringfügige) Vermögensdelikt im Regelfall für fristlose Kündigungen von Mitarbeitern ausgereicht. Im Urteil vom 10.6.10 („Emmely“, Az.: 2 AZR 541/09) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) demgegenüber ausdrücklich erklärt, das Gesetz kenne selbst bei strafbaren Handlungen keine absoluten Kündigungsgründe, in jedem Fall müsse eine individuelle Interessenabwägung durchgeführt werden. Der durch die Straftat angerichtete objektive Schaden müsse das durch die langjährige Betriebszugehörigkeit aufgebaute „Vertrauenskapital“ überwiegen, um die fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

Seitdem herrscht auf Arbeitgeberseite nicht nur Unsicherheit darüber, ob der konkrete Diebstahl einer geringfügigen Sache ausreicht, das entsprechende „Vertrauenskapital“ aufzuwiegen. Auch bei Nicht-Vermögensdelikten, wie z. B. Körperverletzung oder sexueller Belästigung, ist die fristlose Kündigung schwieriger geworden. „Zwar hat das BAG schon immer eine Interessenabwägung vorgenommen. Zunehmend erleben wir jedoch, dass die Arbeitsgerichte, gerade auch im Bereich der sexuellen Belästigung, ausdrücklich auf die „Emmely“-Entscheidung verweisen“, so Eckard Schwarz, Partner bei Hogan Lovells.

Somit muss auch bei einem Arbeitnehmer, der einen anderen sexuell belästigt, das „Vertrauenskapital“ aufgebraucht sein, bevor die sexuelle Belästigung die fristlose Kündigung rechtfertigen kann. In ihrer Abwägung berücksichtigen die Arbeitsgerichte alle Umstände des Einzelfalls. „Besondere Bedeutung kommt in der Praxis häufig einer – in solchen Fällen typischerweise langen – Betriebszugehörigkeit zu. Bei bislang „störungsfreiem Verlauf“ des Arbeitsverhältnisses reichen selbst relativ schwere Belästigungen teilweise nicht aus, um eine Kündigung zu rechtfertigen“, erklärt Malte Wienker, Arbeitsrechtler bei Hogan Lovells.

Diese Entwicklung ist gerade vor dem Hintergrund des im Jahr 2006 eingeführten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) bedenklich. Ein Arbeitgeber muss gemäß § 12 Absatz 3 AGG arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen z. B. sexuelle Belästigungen ergreifen. Arbeitgeber geraten also in ein Dilemma zwischen AGG-Schutzpflichten gegenüber dem Opfer und dem „Täterschutz“ analog „Emmely“. „Die Entscheidung, welche Maßnahme der Arbeitgeber ergreift, muss sorgfältig abgewogen werden“, so Schwarz weiter. „Trotzdem bleiben fristlose Kündigungen – wenn auch mit einigem Begründungsaufwand – weiterhin möglich.“

Abonnieren Anmelden
Zur PLATOW Börse