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Vertrauenskapital geht vor Unternehmensinteresse

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Das in 40 Jahren Dienstzeit aufgebaute Vertrauenskapital einer Mitarbeiterin schützt diese nicht nur bei einem Diebstahl im Bagatellbereich vor einer fristlosen Kündigung. Unternehmen dürfen auch bei einem Betrugsversuch über 160 Euro nicht fristlos kündigen, entschied jetzt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg.

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Langjährig beschäftigte Mitarbeiter sind damit nach Verfehlungen kaum noch rechtssicher kündbar“, warnt Ingolf Kropp, Arbeitsrechtsexperte der Hamburger Wirtschaftskanzlei Schlarmann von Geyso. „Selbst wenn der Schaden über das hinausgeht, was allgemein als Bagatelle gilt, riskieren Arbeitgeber jetzt, dass ihre Kündigung unwirksam ist.“
In dem Fall hatte eine Mitarbeiterin der Deutschen Bahn zur Feier ihres Dienstjubiläums eine gefälschte Quittung eingereicht und immerhin 160 Euro zuviel abgerechnet. Die fristlose Kündigung der Bahn hatte das Gericht verworfen (Az.: 2 Sa 509/10). Die Arbeitsrichter argumentierten mit der Vertrauenskapital-Rechnung, die das Bundesarbeitsgericht vor gut drei Monaten im Fall der Kassiererin „Emmely“ aufgestellt hatte. „Danach bauen Mitarbeiter vor allem durch ihre langjährige und fehlerlose Betriebszugehörigkeit ein Vertrauenskapital auf, das durch eine einmalige Verfehlung nicht komplett zerstört wird“, erklärt Kropp.
Ob diese Ansicht des Bundesarbeitsgerichts aber auch für Schäden oberhalb einer Bagatellgrenze gelten soll, bleibt noch offen. Die ausführliche Urteilsbegründung ist noch nicht verfügbar. Das machte auch den Arbeitsrichtern in Berlin zu schaffen. Sie wollten Zeit gewinnen und regten zunächst an, dass sich Bahn und Mitarbeiterin auf einen Kompromiss einigen. Doch die Bahn blieb hart. Ohne Erfolg: Das Gericht wertete das Vertrauenskapital der Mitarbeiterin höher als das Interesse der Bahn, auf diese „massive Betrugshandlung“ mit einer Kündigung zu reagieren. Zudem beging die Mitarbeiterin ihren Betrug außerhalb ihrer normalen Arbeitstätigkeit und habe diesen auch sofort zugegeben.
Unternehmen sind mit diesem Urteil in ihrem Entscheidungsspielraum deutlich eingeschränkt: „Die fristlose Kündigung auch als öffentliches Signal an alle Mitarbeiter eines Unternehmens, dass jedes strafrechlich relevante Fehlverhalten ernsthaft verfolgt wird, ist damit gefährdet“, erwartet Kropp.

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