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Vorstandshaftung bei Rechtsirrtümern

Wann haftet ein Vorstandsmitglied, das sich zwar gesetzeswidrig, aber entsprechend dem – unzutreffenden – Rechtsrat seiner Berater verhält? Mit diesem Problem hatte sich der BGH in seinem Ision-Urteil aus dem Jahr 2011 auseinanderzusetzen und hat dabei Leitlinien für die Enthaftung von Vorstandsmitgliedern formuliert. Welche Voraussetzungen im Einzelnen für eine Exkulpation erfüllt sein müssen, ist seitdem Gegenstand einer lebhaften Debatte. Der BGH hat zuletzt in einem Urteil die Anforderungen an eine Enthaftung präzisiert und Unklarheiten beseitigt, wie nachfolgend Henrik Humrich und Jan-Henning Wyen von Ego Humrich Wyen ausführen.

Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist verpflichtet, gesetzestreu zu handeln (Legalitätspflicht). Handelt das Vorstandsmitglied unrechtmäßig, so verletzt es stets seine Organpflichten. Das gilt selbst dann, wenn zum Zeitpunkt des Handelns auf Grund einer unklaren Rechtslage offen war, ob überhaupt ein Gesetzesverstoß vorliegt. Hieraus folgt aber nicht, dass ein Vorstandsmitglied in jedem Falle eines Gesetzesverstoßes auch haftet. Es hat die Möglichkeit, sein Verschulden zu widerlegen. Insoweit steht dem Vorstandsmitglied aber nicht die Business Judgment Rule zur Verfügung, nach der unternehmerische Entscheidungen nur einer eingeschränkten Kontrolle unterliegen. Diese findet nur auf gesetzmäßige Entscheidungen Anwendung. Es reicht grundsätzlich auch keine schlichte Anfrage bei einer vom Vorstandsmitglied für fachkundig gehaltenen Person aus.

Nach den Grundsätzen des Ision-Urteils (II ZR 234/09) erfordert eine Enthaftung vielmehr, dass sich ein Vorstandsmitglied, das selbst nicht über die erforderliche Fachkunde verfügt, unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einem unabhängigen, für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten Berufsträger beraten lässt und die erteilte Rechtsauskunft einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzieht. Es bestehen daher vier Voraussetzungen: Die umfassende Information des Beraters über den Sachverhalt, die Fachkompetenz des Beraters, die Unabhängigkeit des Beraters sowie die Plausibilitätskontrolle durch das Vorstandsmitglied.

Nach dem Ision-Urteil entbrannte eine Diskussion, welche Anforderungen sich hieraus im Detail für die Praxis ergeben. In einem Urteil aus dem April 2015 (II ZR 63/14) hat der BGH die Grundsätze des Ision-Urteils weiterentwickelt. Von besonderer praktischer Relevanz sind seine Ausführungen zu den umstrittenen Anforderungen an die Unabhängigkeit des Beraters und die Plausibilitätskontrolle.

Bei dem Erfordernis der Unabhängigkeit des Beraters war streitig, ob Hausjuristen und Syndikusanwälten per se als verlässliche Auskunftspersonen ausscheiden, weil sie als voreingenommen oder parteiisch angesehen werden könnten. Wäre dem so, würde dies zur Freude aller Anwaltssozietäten bedeuten, dass für eine Enthaftung stets der Rat eines externen Rechtsanwalts erforderlich wäre.

Der BGH hat nunmehr klargestellt, dass keine persönliche, sondern eine sachliche Unabhängigkeit notwendig ist. Danach ist erforderlich, dass die Auskunft, unbeeinflusst von unmittelbaren oder mittelbaren Vorgaben in Bezug auf das Ergebnis, erteilt wird. Hieraus ist wohl zu schließen, dass auch die Rechtsabteilung unabhängige Beraterin sein kann. Das ist überzeugend und hat für Unternehmen den Vorteil, dass keine unnötigen Kosten für Rechtsberatung anfallen, wenn sich eine Rechtsfrage mit Hausmitteln klären lässt. Auskünfte wirken aber – unabhängig davon, wer der Berater ist – nicht entlastend, wenn es sich um Gefälligkeitsgutachten oder um andere vom Ergebnis her getriebene Auskünfte handelt.

In Bezug auf die Plausibilitätsprüfung führte das Ision-Urteil aus, dass ein Vorstandsmitglied einem Rechtsrat nicht schlicht vertrauen darf, sondern diesen überprüfen muss. Es war insoweit allerdings unklar, welche Anforderungen im Einzelnen an die Plausibilitätsprüfung zu stellen sind. Der BGH hat nunmehr klargestellt, dass keine rechtliche Überprüfung der Auskunft erforderlich ist. Die Prüfung beschränkt sich grundsätzlich auf den Sachverhalt und die Plausibilität der Auskunft.

Was den Sachverhalt angeht, ist zu prüfen, ob der Berater alle erforderlichen Informationen erhalten und diese vollständig und richtig verarbeitet hat. In Bezug auf die Plausibilität der Auskunft hat das Vorstandsmitglied sicherzustellen, dass die Fragen, die sich einem Rechtsunkundigen aufdrängen, widerspruchsfrei beantwortet sind und sich keine weiteren Fragen aufdrängen.

Diese Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs ist zu begrüßen. Es leuchtet ein, dass eine rechtliche Prüfung von einem Rechtsunkundigen nicht erwartet werden kann. Allerdings müssen Vorstandsmitglieder den Sachverhalt, welcher der jeweiligen Prüfung zu Grunde gelegt wird, einer genauen Prüfung unterziehen. Was trivial klingt, ist von hoher Relevanz, da bei vielen Gutachten die „Musik““ in den Annahmen des Sachverhalts spielt.

Insgesamt hat der BGH in seiner jüngsten Entscheidung die Grundsätze des Ision-Urteils sinnvoll weiterentwickelt. Die Voraussetzungen bleiben zwar streng, aber der BGH hat die Anforderungen mit Augenmaß präzisiert. Hierdurch wirkt der BGH der bisweilen festzustellenden Tendenz in der Rechtsprechung und Literatur entgegen, die Voraussetzungen an eine Enthaftung zu überspannen.

 

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