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Wahrheit ohne Schutz

Die modernen Kommunikationsmöglichkeiten (insbesondere Social-Media-Plattformen) haben die Rolle der Medien verändert. Sie sind keine kommunikativen Torwächter mehr, jeder kann alles äußern und alles empfangen. In gewisser Weise ist die Kommunikationswelt demokratischer geworden. Allerdings: Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Da keiner mehr die Inhalte vor ihrer Veröffentlichung kontrolliert (z. B. auf Richtig- oder Vertretbarkeit), stehen freiheitlich und demokratisch organisierte Gesellschaften zwei neuen Phänomenen noch recht hilflos gegenüber – nämlich Fake News und Hate Speech. Eine aktuelle Einschätzung geben Stefan Engels, Partner, und Verena Haisch, Counsel, von der internationalen Anwaltssozietät DLA Piper.

Während es bei Fake News um im Kern oder im Detail unwahre Informationen geht, handelt es sich bei Hate Speech um aufrührerische oder beleidigende – teils ebenfalls unwahre – Hassbotschaften gegen Personen oder Personengruppen. Beiden Phänomenen ist aber gemeinsam, dass die Inhalte vielfach nicht offen geäußert werden, sondern im Schutz der Anonymität von Plattformen zum Abruf bereitgehalten und geteilt werden können. Sie können sich daher schnell verbreiten und sind nur schwer und meist zu spät wieder zurückzuholen. Es liegt auf der Hand, dass Fake News und Hate Speech zur Agitation bzw. Beeinflussung der öffentlichen Meinung dienen.

Häufig kommt hinzu, dass sie sich nicht gegen konkrete Personen, Unternehmen oder Institutionen richten, es also an der rechtlich erforderlichen individuellen Betroffenheit fehlt. Selbst wenn der Äußernde bekannt wäre, gebe es dann nur eingeschränkt rechtliche Möglichkeiten, ein solches Handeln zu unterbinden und seine Folgen zu beseitigen, weil es niemanden gibt, der konkret und individuell in seinen Rechten verletzt wird. Zugespitzt: Die bloße Wahrheit hat derzeit keinen Schutz.

Mit Recht wird daher intensiv über Lösungen nachgedacht. Zentral ist dabei die Frage, ob und inwieweit Äußernde einen Anspruch auf Anonymität haben dürfen. Wenn dieser Anspruch jedoch berechtigterweise als systemkritisch für Plattformen angesehen wird, rückt deren Verantwortung in den Mittelpunkt. Derzeit sind die Mechanismen der Plattformen unzureichend – kaum praktikabel und zudem zu langsam. Hier liegen die Justizminister der Länder richtig, wenn sie einfachere Beschwerdemöglichkeiten sowie schnelles Handeln fordern.

Aber solche Mechanismen alleine reichen nicht aus. Denn wer entscheidet nach welchen Kriterien, was Fake News oder Hate Speech sind. Grundsätzlich kümmern sich darum Gerichte, die hier allerdings oft spät kommen, wenn sie überhaupt angerufen werden können. Es wird also darum gehen, zum einen unabhängige Einrichtungen zu schaffen, die ständig das Netz und die Plattformen nach Unrichtigkeiten und Hetze durchkämmen. Um das gerade bei Fake News bestehende Risiko abzufedern, dass auch wichtige Informationen oder berechtigte Kritik unterbunden werden, sollten diese Einrichtungen die betroffenen Beiträge nur markieren, nicht aber unmittelbar löschen dürfen. Hierfür blieben – wie bisher auch – die Gerichte zuständig.

Bleibt das Problem, dass die bloße Wahrheit rechtlich bislang ohne Schutz ist. Hier wäre darüber nachzudenken, einen neuen Tatbestand zu schaffen. Denn auch die offene Gesellschaft muss die Wahrheit und damit sich selbst schützen.

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