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Wirksamkeit vertraglicher Nettingvereinbarungen

Der Bundesgerichtshof hat jüngst Aufrechnungsvereinbarungen (Netting) in Rahmenverträgen für teilweise unwirksam erklärt. Im Leitsatz heißt es, dass Abrechnungsvereinbarungen, die dem deutschen Recht unterliegen und dem § 104 Insolvenzordnung widersprechen, insoweit unwirksam sind. Das Urteil bezog sich auf ein Aktienoptionsgeschäft unter dem Deutschen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte, der entsprechende Nettingvereinbarungen enthält. Danach endet der Rahmenvertrag und die darunter abgeschlossenen Geschäfte im Insolvenzfall einer der Parteien automatisch, wie Christian Storck sowie Jörg Fried von Linklaters im Folgenden weiter erläutern.

Der Marktwert der einzelnen Geschäfte soll auf der Grundlage von konkreten Ersatzgeschäften oder abstrakten Marktpreisen bestimmt und die einzelnen Werte dann zu einer einheitlichen Ausgleichsforderung aufgerechnet werden. Im konkreten Fall machte die insolvente Partei, eine englische Wertpapierfirma, die für sie positive Ausgleichsforderung gegen den Vertragspartner, eine deutsche GmbH, geltend. Das Gericht hat der insolventen Partei einen Anspruch auf Ausgleich des Marktwertes zugestanden, allerdings nicht aus Vertrag, sondern gemäß § 104 Insolvenzordnung.

In der Urteilsbegründung ging das Gericht zunächst der Frage nach dem anwendbaren Recht nach. Da der Rahmenvertrag deutschem Recht unterliegt und für die insolvente Partei die Europäische Insolvenzverordnung keine Anwendung findet, war deutsches Insolvenzrecht einschlägig. Hiernach bestimmen sich die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf Aufrechnungsvereinbarungen nach dem Recht, das für den Vertrag maßgebend ist, vorliegend also nach deutschem Vertrags- und Insolvenzrecht. §§ 104, 119 Insolvenzordnung sehen ein gesetzliches Nettingregime vor, von dem nicht abgewichen werden darf.

Der Bundesgerichtshof hat offengelassen, inwieweit eine Beendigung des Rahmenvertrags bereits mit Stellung des Insolvenzantrags wirksam ist. Jedenfalls seien die Bestimmungen zur Bewertung der beendeten Geschäfte nicht mit § 104 Insolvenzordnung vereinbar und daher insoweit unwirksam. Die vertraglichen Regelungen stünden dem gesetzgeberischen Ziel des Masseschutzes entgegen. Schädlich sei insbesondere, dass nach dem Rahmenvertrag die Höhe der Ausgleichsforderung der insolventen Partei auf ihren Schaden beschränkt sei. Aber auch die Bewertungsmethode der Ausgleichsforderung weiche von den gesetzlichen Vorgaben ab. Nach Auslegung des Gerichts ist eine Bewertung der beendeten Geschäfte allein auf Basis von Markt- oder Börsenpreisen zu vollziehen, sofern auf Basis dieser Preise eine konkrete Eindeckung für die solvente Vertragspartei möglich ist.

Die Ausführungen sind nicht auf den spezifischen Einzelfall begrenzt. Vielmehr sind vertragliche Nettingvereinbarungen – sei es in Derivate-, Wertpapierpensions- oder Energiehandelsverträgen – auf ihre Vereinbarkeit mit § 104 Insolvenzordnung zu prüfen, sofern deutsches Insolvenzrecht anwendbar ist.

Das Urteil hat damit einen weiten Anwendungsbereich eröffnet. Dennoch gibt es viele Verträge, die nicht betroffen sind, so z.B. englisch-rechtliche Vereinbarungen zwischen Parteien, auf welche die Europäische Insolvenzordnung keine Anwendung findet (z.B. ISDA Master Agreements zwischen Kreditinstituten). Und auch wenn die vertraglichen Aufrechnungsvereinbarungen teilweise unwirksam sind, so findet das gesetzliche Regime Anwendung. Danach werden die unter den § 104 Insolvenzordnung fallenden Transaktionen mit Insolvenzeröffnung beendet und zum folgenden zweiten Werktag bewertet. Im Falle mehrerer Transaktionen, welche in einem Rahmenvertrag zusammengefasst sind, kommt es zum gesetzlichen Netting.

Infolge des Urteils ergeben sich im Vergleich zu den vertraglichen Regelungen Unterschiede hinsichtlich des Bewertungszeitpunktes. Dieser ist nicht der Tag der Antragsstellung oder der Kenntnis darüber, sondern der zweite Werktag nach Insolvenzeröffnung. Ferner ist die Bewertungsmethode auf abstrakte Markt- oder Börsenpreise mit der Möglichkeit der Ersatzeindeckung begrenzt. Die Auswirkungen sind für den Gesamtmarkt und in Ansehung des Umstandes, dass sämtliche Parteien – Finanzinstitute wie auch andere Unternehmen – ihre Risikopositionen auf Nettobasis bewerten, also nach Durchführung des vertraglichen Netting, auf Dauer nicht akzeptabel. Dies betrifft insbesondere die zukünftige Besicherungspflicht von nicht geclearten Derivaten (EMIR) sowie die Eigenkapitalanforderungen für Kreditinstitute (CRR).

Das Bundesministerium der Finanzen und das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz haben zeitig nach der Urteilsverkündung eine Stellungnahme veröffentlicht. Demnach will die Regierung unmittelbar gesetzgeberische Maßnahmen für eine Klarstellung oder Präzisierung der betroffenen Vorschriften auf den Weg bringen, um zu gewährleisten, dass die gängigen Rahmenverträge auch weiterhin im Markt und von Aufsichtsbehörden anerkannt werden. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat eine Allgemeinverfügung gemäß § 4a Wertpapierhandelsgesetz erlassen. Institute oder deren Vertragspartner sind hiernach angewiesen, Nettingvereinbarungen vereinbarungsgemäß abzuwickeln. Der Markt begrüßte diese Maßnahmen. Die Marktteilnehmer warten nun gespannt auf die gesetzgeberischen Vorschläge, um auch in Zukunft – wie in anderen europäischen Staaten oder den USA – wirksame vertragliche Nettingvereinbarungen in Deutschland vereinbaren zu können.

 

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