Welche Trends sehen Sie am M&A-Markt, Herr Parameswaran?
Herr Parameswaran, die M&A-Konjunktur hat sich stark abgekühlt, politisch-strategisch und auch regulatorisch waren grenzüberschreitende Transaktionen schon einmal einfacher. Sind internationale Unternehmenskäufe und -verkäufe langsam ein Ding der Vergangenheit?
Nach einem sehr starken Jahr 2021 ist die weltweite Transaktionsaktivität in 2022 zwar geringer, das Niveau der Aktivitäten ist jedoch immer noch mit dem vor der Pandemie vergleichbar. Es besteht kein Zweifel, dass das wirtschaftliche und politische Umfeld derzeit schwierig ist – mit geopolitischen Spannungen in Europa und anderen Teilen der Welt, hoher Inflation und einer Energiekosten- und Cost of Living-Krise, den Herausforderungen des Klimawandels, der laufenden Pandemiebekämpfung und Problemen in der Lieferkette.
Die strategischen Gründe für internationale Unternehmenskäufe und -verkäufe sind jedoch nach wie vor überzeugend:
- etwa in neue Regionen zu expandieren, um strategische Lücken zu schließen oder in bestehenden Kernmärkten wettbewerbsfähig zu bleiben,
- Synergien zwischen Unternehmen zu nutzen, um die Profitabilität zu verbessern,
- nicht zum Kerngeschäft gehörende Einheiten zu veräußern, um Portfolios zu verschlanken,
- digitale Transformation und neue Technologien voranzutreiben, z.B. in den Bereichen Automatisierung, Einsatz von KI, etc.,
- Optimierung der Lieferketten – z.B. Integration von Lieferanten, wenn diese sich in einer prekären Lage befinden, um die Lieferketten zu sichern.
Zudem ist ESG ein zunehmend wichtiger Treiber für M&A, auch weil der Kapitalmarkt und andere Stakeholder fokussierter auf dieses Thema sind. Große multinationale Unternehmen bewegen sich schnell auf ein Net-Zero-Ziel bei Emissionen zu und führen daher strategische M&A-Transaktionen durch, etwa um emissionsintensive Bereiche abzustoßen, ihr Geschäftsmodell zukunftsfähig zu machen oder den Zugang zu erneuerbaren Energien zu sichern.
Außerdem ist immer noch reichlich Kapital im Markt vorhanden – etwa im Bereich Private Equity. Und obwohl das Zinsniveau allgemein steigt, sind Finanzierungen nach wie vor verfügbar. Die relative Schwäche mancher Währungen, aktuell zum Beispiel des Britischen Pfunds, können je nach Geschäftsmodell der Zielgesellschaft auch interessante Opportunitäten für ausländische Investoren eröffnen. Sicherlich ist das regulatorische Umfeld eher komplexer geworden – viele europäische Länder haben im vergangenen Jahr die Kontrollen für ausländische Direktinvestitionen deutlich verschärft. Letzteres bringt Herausforderungen hinsichtlich des Zeitrahmens zur Umsetzung von Deals und in manchen Fällen auch Fragezeichen rund um die Transaktionssicherheit mit sich, mit denen man umgehen muss.
Wann und wie gründlich sollte man sich bei einem Deal zur Notwendigkeit von Erlaubnissen nach dem Außenwirtschaftsgesetz Gedanken machen?
Sowohl für den Käufer wie auch für den Verkäufer ist es empfehlenswert, sich bereits in der Vorbereitungsphase des Erwerbs/des Verkaufs eines Unternehmens oder eines Betriebsteils die Frage notwendiger Erlaubnisse nach dem Außenwirtschafts-/Investitionskontrollrecht zu stellen. Allerspätestens sollte diese Frage zu Beginn der üblichen Due-Diligence-Prüfung erfolgen, üblicherweise jedoch bereits in der Vorbereitung einer grundsätzlichen Investitionsentscheidung. Käufer können sich so strategische Vorteile sichern bzw. erwartete Nachteile frühzeitig gegenüber dem Verkäufer kompensieren. Verkäufer können im Rahmen der Investitionsprüfung risikoreichere Investorengruppen mit Blick auf erwartete Hindernisse je nach Transaktionsziel besser einschätzen.
Gerade bei Unternehmenskäufen mit multinationalen Targets empfiehlt sich eine möglichst frühzeitige Klärung der Melde- und Freigabepflichten für sämtliche in Betracht kommenden Länder.
Auch nimmt die Zusammenstellung der für eine Notifizierung bei den zuständigen Behörden erforderlichen Unterlagen Zeit in Anspruch und bedarf üblicherweise der Abstimmung durch die Parteien, wobei hier häufig ein erheblicher Grad technischer Spezifizierung vonnöten ist. In Deutschland etwa besteht die Möglichkeit, Notifizierungen und Freigabeanträge – dies gilt auch im Bereich freiwilliger Notifizierungen – bereits vor der endgültigen Unterzeichnung des Unternehmenskaufvertrags einzureichen und so eventuell bereits frühzeitig Klarheit über mögliche Beschränkungen z.B. durch Auflagen zu erlangen.
Insofern ist festzuhalten: Je früher die Investitionskontrolle in den Blickpunkt gelangt, desto schneller können sich die Parteien auf die nächsten Schritte und ihre jeweilige Position einstellen. Der Freigabeprozess kann früher eingeleitet und damit auch früher abgeschlossen werden. Es empfiehlt sich daher, diesen Aspekt so früh wie möglich in die Transaktionserwägungen einzubeziehen.
Wie verändert sich die Vertragsgestaltung angesichts der zunehmenden Unsicherheiten?
Abgesehen von der kurzen Pause im Jahr 2020 (Mitte März bis Ende Mai / Mitte Juni), die durch COVID-19 verursacht wurde, war der M&A-Markt über einen langen Zeitraum sehr stark. Obwohl sich der Markt in diesem Jahr leicht abkühlt, werden sich die Bedingungen für Geschäftsabschlüsse wohl nur schrittweise ändern.
Die bereits erörterten regulatorischen Fragen können dazu führen, dass zwischen Signing und Closing einer Transaktion künftig eine vergleichsweise längere Zeitspanne liegt. Es ist wahrscheinlich, dass im Unternehmenskaufvertrag ein größeres Augenmerk auf den Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Vollzug und damit auf Interim Covenants (Verpflichtungen / Beschränkungen des Verkäufers für diese Periode), Kündigungsrechte und Material Adverse Change (MAC)-Klauseln zum Schutz des Käufers gelegt wird.
In einem volatilen und unsicheren makroökonomischen Umfeld sind die Unternehmensbewertungen zweifellos eine Herausforderung. Es ist daher möglich, dass vermehrt vertragliche Instrumente zur Überbrückung von Bewertungslücken oder zur Unterstützung von Bewertungen eingesetzt werden, wie z.B. an Performance gekoppelte Earn-outs oder Kaufpreis-Escrows/Holdbacks. Auch wenn die „Locked Box“-Preisgestaltung weltweit (außer in den USA) ein immer häufigeres Merkmal von Unternehmenskäufen geworden ist, ist in einem eher käuferfreundlichen Umfeld wieder mit einer stärkeren Nutzung von Completion Accounts-Mechanismen oder hybriden Kaufpreisklauseln zu rechnen.
Auch der Einsatz von W&I-Versicherungen nimmt weiter zu. Die käuferseitige W&I-Versicherung ist heute ein fester Bestandteil vieler M&A-Transaktionen in den USA, Europa und im asiatisch-pazifischen Raum. Wenn die Integration in den M&A-Prozess verkäuferseitig professionell geplant wird, kann eine W&I-Lösung einen reibungslosen Ablauf der Transaktion fördern, die Wettbewerbsfähigkeit von Käufergeboten insbesondere in kompetitiven Auktionen erhöhen und den Zeitaufwand für die Verhandlung von Garantien und Haftungsbeschränkungen reduzieren (auch wenn eine W&I-Versicherung eine detaillierte Prüfung der Korrektheit aller Garantien durch den Verkäufer nicht ersetzt).
Auch der Megatrend ESG schlägt sich mittlerweile im Wording des Unternehmenskaufvertrags (und in der Due Diligence) nieder. Hier hat sich zwar bislang kein Marktstandard etabliert und die typischen Vertragsmechanismen (Bedingungen, Covenants, Garantien, Freistellungen) genügen in der Regel, um die entsprechenden Themen zu adressieren. Je nach Geschäftstätigkeit der Zielgesellschaft sind hier allerdings neue Klauseln zu schaffen bzw. bestehende Standardklauseln zu ergänzen.
Benjamin Parameswaran ist Partner im Hamburger Büro von DLA Piper und seit November 2022 Global Co-Chair, Corporate der Kanzlei. Von 2014 bis 2022 leitete er als Managing Partner das Deutschland-Geschäft der Sozietät.