Banken

Ad hoc-Pflicht auch bei unsicherer Kursentwicklung

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Wenn der Vorstand einer börsennotierten Emittentin von Aktien einen Entschluss fasst, der einen erheblichen Einfluss auf den Kurs der Aktien der Emittentin haben kann, dann unterliegt diese Information der Pflicht zur ad hoc-Mitteilung. Dies gilt auch dann, wenn sich der Vorstand unklar darüber ist, ob die Information eher zu einer Kurssteigerung oder eher zu einem Absinken des Kurses an den relevanten Aktienmärkten führen wird. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) jüngst entschieden (Az.: C-628/13). Matthias Terlau, Partner und Leiter der Praxisgruppe Bank- und Kapitalmarktrecht der Kanzlei Osborne Clarke, erläutert das Urteil.

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Im entschiedenen Fall ging es um die Wendel S.A., eine börsennotierten Investmentgesellschaft mit Sitz in Paris. Ihre Aktien sind an der Euronext zum Handel im EU-regulierten Markt zugelassen. Zwischen Dezember 2006 bis Juni 2007 erwarb Wendel von verschiedenen Banken Total Return Swaps auf insgesamt 85 Mio. Aktien der ebenfalls an der Euronext notierten Saint Gobain S.A. 85 Mio. Aktien waren rund 22,7% von deren Kapital. Saint Gobain ist einer der größten „Blue Chip““-Werte an der Euronext. Zwischen September 2007 und März 2008 erwarb Wendel die den Total Return Swaps als Basiswerte unterliegenden Aktien des Unternehmens. Total Return Swaps wurden in Deutschland breiter bekannt in ihrer Variante der Cash Settled Equity Swaps: Dabei zahlt der Erwerber einen festen Preis. Der Veräußerer (Stillhalter) verpflichtet sich, einen an der Kursentwicklung und an den Ausschüttungen eines bestimmten Basiswertes als Underlying (z. B. eine Aktie) orientierten Betrag an den Erwerber des Derivates zu zahlen. Der Erwerber hat keinen Anspruch auf Lieferung des Basiswertes, sondern nur auf Cash-Ausgleich. Der Stillhalter, deckt sich jedoch häufig mit dem Basiswert ein, um das Kursrisiko zu begrenzen. Er hat auch häufig das Recht, die als Basiswert dienenden Aktien zu liefern, so dass der Differenzausgleich entfällt. Diese Instrumente wurden in Deutschland der breiteren Öffentlichkeit in den Übernahmefällen Schaeffler/Conti (2008) und Porsche/VW (2005 bis 2009) bekannt, wo sie ebenfalls zu einem unbemerkten „Anschleichen““ bzw. Aufstocken der Beteiligung genutzt wurden.

Bei Erwerb des Derivates bestand keine Pflicht zur Stimmrechtsmitteilung gegenüber dem Emittenten des Basiswertes, da das Derivat dem Erwerber kein Recht zum Erwerb der Basiswerte gibt. Seit Inkrafttreten des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes in 2012 ist dies in Deutschland übrigens anders und die überarbeitete EU-Transparenzrichtlinie 2013/50/EU wird dies europaweit ändern. Sie muss bis Ende November 2015 von den Mitgliedsstaaten umgesetzt sein.

Ist aber die sich „anschleichende““ Gesellschaft selbst börsennotiert, stellt sich für sie immer die Frage der eigenen ad hoc-Mitteilungspflicht. In diesem Zusammenhang ist die Feststellung der französischen Finanzaufsichtsbehörde AMF entscheidend, dass Wendel entweder bereits bei Erwerb der Derivate beabsichtigt habe, eine erhebliche Beteiligung am Kapital von Saint-Gobain zu erwerben, spätestens aber bei Beginn des Erwerbs der Basiswerte, die den Derivaten unterlagen. Wendel bestritt die ad hoc-Pflicht vor allem mit dem Argument, man habe nicht die Richtung einer möglichen Kursauswirkung dieser Information vorhersehen können. Die Sache wurde letztlich dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Die Europarichter hatten damit knapp drei Jahre nach der Daimler/Geltl-Entscheidung erneut Gelegenheit, über den Begriff der Insiderinformation nach der Markmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG mit ihrer Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG zu entscheiden – insbesondere über das am schwierigsten zu bestimmende Element, die „präzise Information““. Der EuGH lehnte die von Wendel und seinem Vorstand geltend gemachte Einschränkung bei Unsicherheiten über die Richtung der Kursentwicklung ab, weil es für sie keine Anhaltspunkte in den beiden Richtlinien gebe. Der verständige Anleger solle selbst entscheiden, ob sich die kurserhebliche Nachricht positiv oder negativ auf den Kurs auswirken werde. Würde man verlangen, dass auch die Richtung der Kursbewegung erkennbar sein müsse, wäre dies ein Einfallstor für Missbrauchsfälle. Im Übrigen habe der europäische Gesetzgeber dahingehende Vorschläge in den Vorarbeiten zur Durchführungs-Richtlinie 2003/124/EG bereits verworfen.

Fazit und Ausblick

Die Entscheidung verdient uneingeschränkte Zustimmung. Gerade bei Übernahmen, bei Personalien oder bisweilen auch bei Strukturmaßnahmen ist nicht immer klar vorhersehbar, ob der Markt dies positiv oder negativ bewerten und welchen Verlauf der Kurs nehmen wird. Die Richtlinien wollen aber alle Fälle erfassen, in denen es zu einer erheblichen Kursauswirkung kommen kann, unabhängig davon, ob der Ausschlag positiv oder negativ ausfällt. Den Zielen der Richtlinien entspricht es, dass dann der Markt berufen ist zu entscheiden, ob die Maßnahme positiv oder negativ zu bewerten ist. Die Entscheidung wird auch unter der neuen Marktmissbrauchsverordnung 596/2014/EU (MMVO) vom April 2014 weiterhin volle Geltung haben. An der Definition der Insiderinformation und an der Veröffentlichungspflicht hat sich insoweit nichts geändert. Ganz erheblich wird sich aber die Höhe der Geldbußen bei Verletzung von ad hoc-Pflichten ändern. Derzeit gilt in Deutschland der Höchstbetrag von 1 Mio. Euro. Ab dem 3.7.2016 werden nach der MMVO die Mindest-Geldbußen für natürliche Personen bei 1 Mio. Euro und für juristische Personen bei 2,5 Mio. Euro oder 2% des jährlichen Umsatzes liegen.

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