„Die Vollstreckung ist besonders heikel“
Finanzkrisen erfassen nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern können ganze Staaten ins Wanken bringen. Derzeit stehen etwa Island, Griechenland und Argentinien vor massiven finanziellen Schwierigkeiten. Sven Schelo, Partner bei Linklaters und Spezialist für Insolvenzrecht, erläutert, wie Gläubiger im Krisenfall vorgehen können.
Finanzkrisen erfassen nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern können ganze Staaten ins Wanken bringen. Derzeit stehen etwa Island, Griechenland und Argentinien vor massiven finanziellen Schwierigkeiten. Sven Schelo, Partner bei Linklaters und Spezialist für Insolvenzrecht, erläutert, wie Gläubiger im Krisenfall vorgehen können.
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Wer kommt als Gläubiger eines Staates in Betracht?
Grundsätzlich kann jeder Gläubiger eines Staates sein oder werden: Sowohl andere Staaten als auch privatwirtschaftliche Institutionen, wie z. B. Banken. Zurzeit finanzieren sich viele Staaten verstärkt über die Ausgabe von Staatsanleihen, die andere Staaten wie auch private Banken zeichnen. Die Bedienung der Verpflichtungen dieser Staatsanleihen ist ein wichtiger Indikator für die Solvenz von Staaten.
Wann ist ein Staat insolvent?
Da kein Staateninsolvenzverfahren existiert, gibt es auch keine Definition, wann ein Staat insolvent ist. Viele Staaten, wie auch die Bundesrepublik Deutschland (§ 12 Abs. 1 InsO), haben sich sogar in ihren nationalen Rechtsordnungen für „nicht insolvenzfähig“ erklärt. D. h. ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Staates ist unzulässig. Weil jedoch der Begriff der Zahlungsunfähigkeit vielen Rechtsordnungen gemeinsam ist, bietet es sich an, für diese Frage Anleihen im „allgemeinen“ Insolvenzrecht zu nehmen. Danach wäre ein Staat insolvent, wenn er nicht in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten, z. B. den Zins und Kapitaldienst aus Staatsanleihen, zu bedienen.
Was machen staatliche Gläubiger eines Staates, wenn dieser insolvent wird?
Der Schuldnerstaat wird regelmäßig in Verhandlungen mit seinen (Groß-)Gläubigern treten und ihnen ein Umschuldungsangebot unterbreiten. Das wichtigste Forum hierfür ist der sog. Pariser Club, in dem sich die staatlichen Gläubiger des betreffenden Staates versammeln. Hier wird versucht, einen Kompromiss, etwa Schuldenerlass oder Stundung, ähnlich dem eines außergerichtlichen Sanierungsvergleiches bei einem Unternehmen der Privatwirtschaft, zu erreichen. Auch ist es denkbar, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank dem insolventen Staat zur Seite treten und Notkredite zu besonderen Konditionen gewähren, um die Insolvenz abzuwenden oder gar nicht erst eintreten zu lassen.
Welche Möglichkeiten haben die privaten Gläubiger?
Während die Gläubigerstaaten im Rahmen der Verhandlungen im Pariser Club in der Regel genügend Einflussmöglichkeiten haben, sind die privaten Gläubiger, wie z. B. Banken, mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Wollen diese etwaige Angebote des Staates auf Stundung oder Schuldenerlass nicht akzeptieren, bleibt ihnen nur die Möglichkeit, ihre Forderungen im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen. Dafür muss der Gläubiger gegen den jeweiligen Schuldnerstaat auf Zahlungen klagen. Das bedeutet, er muss sich seine Forderungen durch (staatliche) Gerichte „titulieren“.
Vor welchen Gerichten müssen die Gläubiger klagen?
Hier gelten die allgemeinen Regelungen, also insbesondere das Internationale Privat und Prozessrecht. Soweit mehrere internationale Gerichtsstände einschlägig sind, sollte dort geklagt werden, wo der Gläubiger auch Vermögen des Staates vermutet, welches er anschließend vollstrecken kann.
Und wie wird vollstreckt?
Die Vollstreckung ist heikel und will gut geplant sein. Hat der Gläubiger vor deutschen Gerichten ein Urteil gegen den Staat erstritten, lässt sich dies in dem Territorium des Schuldnerstaates ohne dessen Einwilligung nicht verwerten. Ausnahmen bestehen, wenn sich der Staat vertraglich der Vollstreckung in seinem eigenen Territorium unterworfen hat, wie dies bei Auslandsanleihen der Fall sein kann. In den Blickpunkt tritt daher Vermögen, was der Staat im Ausland hat, z. B. Liegenschaften oder Forderungen. Die Pfändung von Gegenständen, die öffentlichen Zwecken dienen, z. B. diplomatische Vertretungen, sind allerdings i. d. R. ausgeschlossen.
Gibt es Beispiele?
Besonders erfolgreich bei der Durchsetzung einer Forderung aus einer Staatsanleihe war in den 90er Jahren der Hedgefonds „Elliot Associates“. Dieser hatte 1996 Forderungen aus peruanischen Staatsanleihen mit dem Nennwert von 20,7 Mio. US-Dollar für 11,7 Mio. US-Dollar gekauft. Wenige Tage bevor der von Peru ausgehandelte Umschuldungsvertrag unterzeichnet werden sollte, erhob Elliot Klage. Der Fonds obsiegte sowohl vor den US-amerikanischen Bundesgerichten als auch vor einem belgischen Gericht und erwirkte durch eine Pfändung der Bankkonten Perus eine „Kontenlähmung“ und einen Kompensationsanspruch i. H. v. 55,7 Mio. US-Dollar.
Wäre ein völkerrechtliches Insolvenzverfahren sinnvoll?
Sinnvoll wäre dies vielleicht – praktisch aber kaum etablierbar. Als Beleg hierfür dient der als gescheitert zu betrachtende Versuch des IWFs mit dem Entwurf des „Sovereign Debt Restructuring Mechanism“ die Entwicklung eines völkerrechtlichen Vertrags voranzutreiben. Außerdem ist zu beachten, dass sich Staaten durch eine Währungsreform oder eine Hyperinflation gezielt ihrer Schulden – jedenfalls solcher in der Landeswährung – entledigen können, indem diese schlicht entwertet werden. Vielfach besteht also gar kein Interesse an der Durchführung eines „Staateninsolvenzverfahrens“.
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