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Verfassungsgericht vertraut Sorgfalt der Journalisten

Journalisten haben Anspruch auf eine anonymisierte Urteilsabschrift, auch wenn das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Pressefreiheit, Rechtsstaats- und Demokratieprinzip führen dazu, dass Journalisten auch in laufenden Verfahren Auskunft in Form anonymisierter Urteilskopien bekommen, sofern eine konkrete Gefährdungslage nicht im Einzelfall nachgewiesen wird, erklärt Christine Libor von der Kanzlei FPS Rechtsanwälte. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) traut Journalisten grundsätzlich zu, mit sensiblen Informationen verantwortungsvoll umzugehen und nichts zu veröffentlichen, was ordnungsgemäße Verfahren vereiteln könnte.

22. Dezember 2015

Ein früherer Minister soll als Beigeordneter einer Stadt für die Förderung eines Genehmigungsverfahrens für einen Windpark Geld bekommen haben. Er wird wegen Korruption erstinstanzlich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das Verfahren läuft weiter, weil Staatsanwaltschaft und Angeklagter mit der Entscheidung nicht einverstanden sind. Dass der Fall von öffentlichem Interesse ist, erscheint selbstverständlich. Gerade bei der Kontrolle der Exekutive, bei der Aufdeckung illegaler Verflechtungen von Politik und Wirtschaft sind die Medien gefordert.

So war auch im Thüringer Korruptionsfall die Medienabdeckung während des öffentlich verhandelten Strafverfahrens groß. Deswegen hätte auch die Anfrage des Reporters einer bekannten Wirtschaftszeitung bei Gericht, ihm eine anonymisierte Kopie der erstinstanzlichen Entscheidung zu überlassen, keine große Sache sein sollen. Doch verweigerte der Landgerichtspräsident nicht nur die Kopie, sondern veranstaltete mit den Zeitungsvertretern ein regelrechtes Hütchen-Spiel, um erst das Verfahren zu verzögern und schließlich der Erfüllung einer zwischenzeitlich ergangenen einstweiligen Anordnung des Verwaltungsgerichts auszuweichen. Auf seinen Antrag hin kassierte das Thüringische OVG dann die Anordnung zur Herausgabe. Dies hob schlussendlich das BVerfG wieder auf (Beschluss vom 14.12.2015, Az.: 1 BVR 857/15), weil unter Beachtung des Grundrechtes der Pressefreiheit Anspruch auf eine anonymisierte Urteilskopie bestehe, und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OVG zurück.

Die gerichtliche Entscheidung

Das Thüringer OVG hatte den Fokus noch ausschließlich auf die Verfassungsrechte der Verfahrensbeteiligten und staatlichen Institutionen gelegt. Es befürchtete trotz öffentlicher Verhandlung, Beweisaufnahme und Urteilsverkündung die nachteilige Beeinflussung des Verfahrensganges, weil eine Veröffentlichung des erstinstanzlichen Urteils zukünftige Zeugen beeinflussen könnte. Das BVerfG trennte dagegen scharf zwischen dem Anspruch der Medien auf eine anonymisierte Urteilskopie, abgeleitet aus der verfassungsrechtlichen Veröffentlichungspflicht bezüglich die Öffentlichkeit interessierender Gerichtsentscheidungen und der Pressefreiheit sowie dem Umgang der Medien mit den erlangten Informationen. Das Gericht betonte, dass die Presse selbst entscheidet, ob und wie sie berichtet. Dies sei Teil des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts der Presse. Die Presse habe nicht nur eine Informations-, sondern auch eine Kontrollfunktion. Eine solche Kontrolle können die Medien aber nur ausüben, wenn sie Zugriff auf alle Informationen haben und nicht derjenige, den sie kontrollieren sollen, bestimmen kann, welche Informationen sie erhalten. Auch deswegen ist der Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG konstatierte, dass Behörden beim Auskunftsanspruch grundsätzlich einen Ermessensspielraum haben und es auch keinen Anspruch auf Akteneinsicht gibt. Bei Gerichtsentscheidungen bestehe aber eine verfassungsrechtlich gebotene Veröffentlichungspflicht bezüglich veröffentlichungswürdiger (anonymisierter) Gerichtsentscheidungen, auch soweit diese nicht rechtskräftig sind. Der Auskunftsanspruch der Medien hat einen korrespondierenden Umfang.

Das BVerfG trennt diesen Auskunftsanspruch klar von den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Medien für den Umgang mit den Informationen. Die Medien sollen grundsätzlich Zugang zu allen Informationen bekommen, welche für die Öffentlichkeit von Bedeutung sind, um sich ein vollständiges Bild von der Sachlage machen zu können. Was und wie sie dann darüber berichten dürfen, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Hier gibt es – und daran rührt auch die vorliegende Entscheidung des BVerfG nichts – gesteigerte Sorgfaltspflichten für die Medien. Sie müssen z.B. die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung beachten, nach Zeitablauf das Resozialisierungsinteresse von Straftätern berücksichtigen etc.

Das BVerfG sieht dies jedoch in der alleinigen Verantwortung der Medien und nicht etwa der Behörden. Behörden dürften die bloß theoretische Möglichkeit, dass sich Medien nicht an ihre Sorgfaltspflichten halten könnten, nicht als Begründung dafür nutzen, den Zugang zu Informationen einzuschränken. Die Auskunft verweigern dürfen sie nur, wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine Sorgfaltspflichtverletzung und damit eine Gefährdung öffentlicher Belange gibt. Dies war im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Diese Entscheidung ist eine wichtige Landmarke im Verhältnis zwischen Medienvertretern und Behörden bzw. Gerichten. Sie betont den Vorrang der Pressefreiheit vor behördlichen Belangen und dürfte helfen, die oft willkürlich erscheinende Informationspolitik staatlicher Stellen in ihre Schranken zu verweisen.

 

 

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