Geldpolitik

BGH-Entscheidung mit Folgen für die Beratungspraxis

Mit Urteil vom 11.6.2013 hat der Bundesgerichtshof (BGH) über die Rechtsfolgen eines unterlassenen Pflichtangebots nach § 35 Absatz 2 WpÜG entschieden (Az. II ZR 80/12). Laut BGH ergibt sich in diesem Fall weder ein Individualanspruch der Aktionäre der Zielgesellschaft gegen den Erwerber auf Abgabe eines Angebots, noch auf Zahlung einer Gegenleistung gegen Übertragung ihrer Aktien. Auch ein Schadenersatzanspruch nach Deliktsrecht scheide aus, da § 35 Absatz 2 WpÜG kein dem Individualschutz dienendes Schutzgesetz sei. Derartige Individualansprüche lassen sich nach Ansicht des BGH weder mit dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Norm vereinbaren und ergeben sich auch nicht aus den Gesetzesmaterialien oder der zugrundeliegenden EU-Richtlinie.

„Nach Ansicht des BGH hat § 35 Absatz 2 WpÜG eine vorwiegend kapitalmarktrechtliche – also öffentlich-rechtliche – Ausrichtung“, so Peter Holst, Counsel der Sozietät Ashurst. Das WpÜG sieht bei pflichtwidriger Unterlassung der Abgabe eines Pflichtangebots zum einen ein Bußgeld in Höhe von bis zu 1 Mio. Euro vor. Außerdem kann der Kontrollerwerber nach § 59 WpÜG während der Zeit, in der das Pflichtangebot nicht abgegeben wird, keine Rechte aus den von ihm gehaltenen Aktien ausüben. Ob die BaFin darüber hinaus nach
§ 4 Absatz 1 WpÜG auch die Abgabe eines Pflichtangebots anordnen und gegebenenfalls mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchsetzen kann, hat der BGH offen gelassen. Dieses öffentlich-rechtliche Sanktionensystem würde nach Ansicht des BGH durch daneben bestehende Individualansprüche von Aktionären, für die es keinen einheitlichen Gerichtsstand gibt und über die daher von unterschiedlichen Gerichten unterschiedlich geurteilt werden könnte, gestört.

„Die Entscheidung des BGH ist zu begrüßen, denn sie ordnet die WpÜG-Vorschriften zum Pflichtangebot richtigerweise als öffentlich-kapitalmarktrechtlich ein und schafft Rechtssicherheit“, so Holst. „Sie begründet allerdings keinen Freifahrschein für Investoren, die den Kontrollerwerb einer börsennotierten Gesellschaft planen. Ihnen kann bei Überschreiten der Kontrollschwelle nach wie vor nicht zu einem ‚effizienten Verstoß‘ gegen die Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots geraten werden.“ Das von der BaFin zu verhängende Bußgeld von bis zu 1 Mio. Euro mag dabei noch nicht so schwer wiegen. Allerdings würde durch den von § 59 WpÜG angeordneten Rechtsverlust der mit dem Kontrollerwerb verfolgte Zweck vereitelt, denn die angestrebte Kontrolle über die Zielgesellschaft könnte aufgrund des Stimmverlustes eben gerade nicht ausgeübt werden. „Auch das Hinauszögern der Abgabe des Pflichtangebots kann teuer werden“, so Holst. Denn bei verspäteter Abgabe eines Pflichtangebots hat der Bieter den Aktionären nach § 38 Nr. 2 WpÜG Zinsen auf den Angebotspreis in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

„Der Zeitpunkt der Abgabe eines Übernahmeangebots nach dem WpÜG kann daher nach wie vor nur beeinflusst werden, indem der an einem Kontrollerwerb interessierte Investor den Zeitpunkt des Überschreitens der Kontrollschwelle kontrolliert“, erläutert Holst. Nur solange der Bieter – einschließlich der ihm zugerechneten Stimmrechte – unterhalb der 30%-Kontrollschwelle bleibt, ist er in der Lage, ein „freiwilliges Übernahmeangebot“ nach § 29 WpÜG abzugeben und somit dessen Zeitpunkt selbst zu bestimmen. Aus diesem Grund rät Holst nach wie vor zu einer sehr sorgfältigen Vorbereitung und Strukturierung der Transaktion. „So sollten etwa Anteilserwerbe, die dem Bieter zwar einerseits Transaktionssicherheit im Hinblick auf den Erfolg der geplanten Übernahme geben, andererseits als solche aber zu einem Kontrollerwerb führen würden, vor Abgabe des Angebots nicht vollzogen und allenfalls als schuldrechtliche und aufschiebend bedingte Optionen ausgestaltet werden. Ebenso sollten Investorenvereinbarungen des Bieters mit anderen Aktionären nicht vor Abgabe des WpÜG-Angebots wirksam werden, um nicht durch ein so genanntes Acting in Concert das Überschreiten der Kontrollschwelle auszulösen.

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