Geldpolitik

EU-Kommission legt Bericht zum Übernahmerecht vor

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Die EU-Kommission hat am 28.6.2012 einen Bericht zum Europäischen Übernahmerecht veröffentlicht. Der Kommissionsbericht beruht auf einer in Artikel 20 der Europäischen Übernahmerichtlinie (2004/25/EG) vorgesehenen Überprüfung fünf Jahre nach deren Umsetzungsfrist. Der Bericht nennt fünf spezifische Themenbereiche, in denen die Kommission teilweise weiteren Untersuchungs- bzw. Nachbesserungsbedarf sieht.

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1. Acting in Concert: In Bezug auf die Auslegung des Konzepts des gemeinsamen Handelns mehrerer Aktionäre („Acting in Concert“) bemängelt die Kommission eine uneinheitliche Umsetzung und Auslegung in den Mitgliedstaaten, sowie eine darauf beruhende Rechtsunsicherheit bei internationalen Investoren. Diesem Zustand möchte die Kommission abhelfen, indem sie oder die europäische Kapitalmarktbehörde ESMA den nationalen Behörden Auslegungsleitlinien an die Hand gibt.

2. Ausnahmen von der Pflicht zur Abgabe eines Übernahmeangebots (Pflichtangebot): Zweitens bestehen nach Ansicht der Kommission zahlreiche verschiedene nationale Ausnahmen von der Pflichtangebotsvorschrift. Bei manchen dieser Ausnahmen bezweifelt die Kommission, dass sie den Schutz von Minderheitsaktionären angemessen gewährleisten und kündigt daher weitere Untersuchungen an, die gegebenenfalls in Vertragsverletzungsverfahren gegen die betreffenden Mitgliedstaaten münden könnten. Besonders kritisch sieht die Kommission (1) Ausnahmevorschriften vom Pflichtangebotserfordernis, die im Ermessen der nationalen Überwachungsbehörden stehen, (2) so genannte Whitewash-Verfahren, nach denen die Hauptversammlung der Zielgesellschaft die Befreiung vom Erfordernis des Pflichtangebots beschließen kann, sowie, (3) auf Grund einer Umgehungsgefahr, Ausnahmevorschriften, die zum Schutze der Gläubiger der Zielgesellschaft gelten. Zur deutschen Ausnahmevorschrift in § 37 WpÜG die der BaFin bei der Entscheidung ein Entscheidungsermessen einräumt nimmt die Kommission nicht Stellung. Da die Ermessenskriterien allerdings durch § 37 WpÜG und die WpÜG-Angebotsverordnung detailliert gesetzlich vorgegeben sind, müsste die deutsche Regelung den Kommissionstest bestehen.

3. Maßnahmen gegen so genanntes Low-Balling: Unter Low-Balling versteht man die Abgabe eines freiwilligen Übernahmeangebots durch einen Großaktionär unter Zugrundelegung des gesetzlichen Mindestpreises, welches lediglich dem Ziel dient, die Kontrollschwelle von 30% (knapp) zu überschreiten. Ein Low-Balling ist häufig mit einem so genanntes Creeping-in verbunden, d.h. dem mehr oder weniger heimlichen Anschleichen eines Aktionärs bis knapp unter die 30%-Schwelle. Mit einem solchen Vorgehen machen sich Bieter eine Ausnahmevorschrift der Übernahmerichtlinie zu Nutze, nach der keine Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots mehr besteht, wenn die Kontrolle auf Grund eines freiwilligen Übernahmeangebots erlangt wurde. Sie müssen so durch das Übernahmeangebot nur eine relativ geringe Zahl von Aktien zum gesetzlich vorgegebenen Mindestpreis erwerben. Nach dem Übernahmeangebot können sie nach den derzeitigen Regelungen der Übernahmerichtlinie ihre Kontrollmehrheit nach und nach aufstocken, ohne erneut ein Übernahmeangebot abgeben zu müssen.

In einigen Mitgliedstaaten ist ein solches Vorgehen auf Grund von Regelungen im nationalen Recht unmöglich, weil beispielsweise der Bieter bei einen Übernahmeangebot einen Mindestprozentsatz der Anteile erwerben muss, oder das nach einem Übernahmeangebot erfolgte Aufstocken der Anteile bzw. die Überschreitung weiterer Schwellenwerte stets das Erfordernis eines weiteren Pflichtangebots auslöst. In vielen Mitgliedstaaten, einschließlich in Deutschland, gelten derartige Vorschriften allerdings nicht. Die Kommission möchte ein solches Vorgehen nunmehr europaweit unterbinden. Zunächst soll dies im Wege bilateraler Diskussionen mit den betroffenen Mitgliedstaaten oder durch Empfehlungen der Kommission an die Mitgliedstaaten erfolgen.

4. Europäische Durchbrechungsregel: Die Nicht-Umsetzung der freiwilligen so genannten Europäischen Durchbrechungsregelung in vielen Mitgliedstaaten, nach der während der Annahmefrist satzungsmäßige oder vertragliche Beschränkungen der Übertragbarkeit bzw. Stimmrechte der Aktien keine Wirkung haben (vgl. § 33b WpÜG), hält die EU-Kommission für unschädlich und sieht insofern keinen Anlass, die freiwilligen Regelungen in verbindliche umzuwandeln.

5. Arbeitnehmerrechte: Weiteren Untersuchungsbedarf sieht die Kommission hinsichtlich der Arbeitnehmerrechte bei öffentlichen Übernahmen. Zwar hat der Bieter die Arbeitnehmer in der Angebotsunterlage ausführlich über die Auswirkungen der Übernahme zu unterrichten, insbesondere über die weitere Geschäftstätigkeit sowie die Auswirkungen auf die Beschäftigungsbedingungen. Von Arbeitnehmerseite wird allerdings kritisiert, dass die erforderlichen Informationen nicht immer rechtzeitig vorliegen oder nicht angemessen sind, dass nicht sichergestellt sei, dass der Bieter sich nach erfolgter Übernahme tatsächlich so verhalten werde, wie in der Angebotsunterlage angekündigt, und dass Übernahmeangebote sich erheblich auf die Arbeitsbedingungen auswirken und Kündigungen zur Folge haben können. Die Kommission möchte durch weiteren Dialog mit der Arbeitnehmerseite und weitere Untersuchungen Möglichkeiten für künftige Verbesserungen ausloten.

Weiteres Vorgehen

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten, EU-Institutionen sowie andere interessierte Parteien auf, zu den im Bericht genannten Bereichen Stellung zu nehmen. Mittelfristig ist daher mit Ausnahme der Durchbrechungsregel mit gesetzgeberischen oder administrativen Maßnahmen auf EU-Ebene zu rechnen.

 

Autoren dieses Beitrags sind Peter Holst, Gesellschaftsrechtler bei Ashurst, und Kai Göhring, Executive Director im Bereich Legal & Compliance bei Morgan Stanley.

 

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