Finanzmarkttransaktionssteuer löst Probleme nicht
Keine Unternehmenssteuerreform – das ist die Perspektive für den Rest der Legislaturperiode, die spätestens 2013 zu Ende geht. Während sich das Bundesfinanzministerium mit größeren Praktikerthemen (Umwandlungssteuererlass) und kleineren Gesetzesänderungen (z. B. Steuervereinfachungsgesetz 2011) befasst, geht wertvolle Zeit ins Land, ohne dass die großen Themen des Unternehmenssteuerrechts bearbeitet würden. Nimmt man die offenen unionsrechtlichen Fragen an die Europarechtstauglichkeit des deutschen Rechts zur vertikalen und horizontalen Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten hinzu, wird schnell deutlich: Insgesamt steht das deutsche Internationale Steuerrecht auf dem Prüfstand. Neben diesen „normalen“ und schon ausreichend komplexen Themen stellt sich nun in der politischen Diskussion zudem die drängende Frage nach einer Kapitalverkehrssteuer. Eine Steuer, die kritisch zu sehen ist, wie Götz T. Wiese, Steuerrechtsexperte und Partner bei Latham & Watkins, erläutert.
Keine Unternehmenssteuerreform – das ist die Perspektive für den Rest der Legislaturperiode, die spätestens 2013 zu Ende geht. Während sich das Bundesfinanzministerium mit größeren Praktikerthemen (Umwandlungssteuererlass) und kleineren Gesetzesänderungen (z. B. Steuervereinfachungsgesetz 2011) befasst, geht wertvolle Zeit ins Land, ohne dass die großen Themen des Unternehmenssteuerrechts bearbeitet würden. Nimmt man die offenen unionsrechtlichen Fragen an die Europarechtstauglichkeit des deutschen Rechts zur vertikalen und horizontalen Verlustverrechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten hinzu, wird schnell deutlich: Insgesamt steht das deutsche Internationale Steuerrecht auf dem Prüfstand. Neben diesen „normalen“ und schon ausreichend komplexen Themen stellt sich nun in der politischen Diskussion zudem die drängende Frage nach einer Kapitalverkehrssteuer. Eine Steuer, die kritisch zu sehen ist, wie Götz T. Wiese, Steuerrechtsexperte und Partner bei Latham & Watkins, erläutert.
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In der Diskussion um die geplante Finanzmarkttransaktionssteuer stellen sich zunächst zwei zentrale Fragen: Wäre eine Kapitalverkehrssteuer im Bereich der Euro-Zone, der Europäischen Union, den G8 oder den G20 wünschenswert? Könnte das Steuerrecht seiner zentralen Steuerungsfunktion nachkommen, um seinen Beitrag zur Beendigung der Krisen an den Finanzmärkten zu leisten? Bis zu Beginn der 1990er Jahre wurde in Deutschland eine Börsenumsatzsteuer bzw. eine Gesellschaftssteuer erhoben. Doch war dies kein glorreiches Beispiel für ein effizientes Steuerrecht: Das damit verbundene Steueraufkommen war gering, der bürokratische Aufwand hingegen hoch. Der Steuerungseffekt verpuffte.
In Zeiten der Finanzkrise wird indes eine Tobin-Steuer (nach James Tobin, der bereits 1972 eine Finanztransaktionssteuer auf Devisengeschäfte vorschlug) immer wieder diskutiert. Während sich bekanntlich das Vereinigte Königreich heute vehement gegen eine europaweite Finanztransaktionssteuer wendet, haben sich mittlerweile in Kontinentaleuropa verschiedene Länder für eine solche Steuer ausgesprochen. Am 28.9.11 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Richtlinie über eine gemeinsame, d. h. unionsweite Finanztransaktionssteuer verabschiedet.
Zielerreichung zweifelhaft
Ziel einer Finanztransaktionssteuer ist u. a. die Stabilisierung und Regulierung der Finanzmärkte. Eine Verkehrssteuer auf Finanztransaktionen soll die Spekulation eindämmen und Finanzhasardeure bekämpfen. Aus Sicht der EU-Kommission steht die finanzielle Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Finanzkrise im Vordergrund. Ob dieses Ziel allerdings mit einer Finanztransaktionssteuer tatsächlich erreicht werden kann, ist in praktischer Hinsicht mehr als zweifelhaft. Wenn Länder wie die USA, das Vereinigte Königreich und andere wichtige Handelsplätze eine Finanztransaktionssteuer nicht einführen, wird sich diese insbesondere zu Gunsten solcher Länder auswirken, die solch eine zusätzliche Belastung nicht auferlegen. Letztlich dürfte dies zu einer Verlagerung von Finanztransaktionen in solche Länder führen, in denen die Regulierung deutlich schwächer ausgeprägt ist als in den entwickelten Industrienationen. Zum Zwecke der Steuervermeidung würden Geschäfte in Steueroasen verlagert, was gerade bei Termin- und Derivategeschäften im Computerhandel über die Auslagerung auf Tochtergesellschaften ohne größeren Aufwand möglich ist. Das von der Kommission favorisierte Ansässigkeitsprinzip könnte so ausgehebelt werden.
An einer Verlagerung dürften aber auch seriöse Teilnehmer an den Finanzmärkten ein verständliches Interesse haben: Ob Banken und andere Finanz-intermediäre in der Lage sein werden, die Belastungen einer Finanztransaktionssteuer an Endkunden weiterzugeben, steht dahin. Bei der Wahl zwischen erstklassigen Börsenplätzen ohne Steuerlast (z. B. London) und solchen mit Steuerlast (z. B. Frankfurt) dürfte schnell entschieden sein, wo ein Geschäft abgewickelt wird.
Grundproblematik ungelöst
Den grundsätzlichen Problemen, nämlich der großen Liquidität billigen Geldes und einer unkontrollierten Hebelwirkung heutiger Finanztransaktionen, ist mit einer Finanzmarkttransaktionssteuer ohnehin nicht beizukommen. Insgesamt erscheint eine auf bestimmte Regionen und Märkte beschränkte Finanztransaktionssteuer daher nur als weiße Salbe zur Linderung der verständlichen öffentlichen Entrüstung, nicht aber zur Lösung der in der Tat fundamentalen Probleme an den weltweiten Finanzmärkten und im Bereich der Staatsverschuldung. Wenn die Steuerrechtsordnungen der Länder in erster Linie an nationalen Interessen ausgerichtet sind und bleiben, sollte die Kraft einer lokal beschränkten Finanztransaktionssteuer realistisch eingeschätzt werden. Auch die Kommission räumt ein: Auf einzelstaatlicher Ebene können die Ziele dieser Steuer nicht verwirklicht werden.
Natürlich muss die Finanzkrise massiv bekämpft werden. Mehr internationale Koordinierung und Regulierung sind unausweichlich. Aber die Finanztransaktionssteuer ist das falsche Mittel. So sollte sich der deutsche Gesetzgeber im steuerlichen Bereich doch auf die unbearbeiteten Themen des eigentlichen Unternehmenssteuerrechts konzentrieren und beispielsweise die „Mängelliste des deutschen Steuerrechts“ bearbeiten, die der BDI bereits 2010 vorgelegt hat, oder die von der Bundessteuerberaterkammer 2011 abgegebenen Empfehlungen zur Reform des Internationalen Steuerrechts überdenken.
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