Geldpolitik

Für wen gilt das neue Restrukturierungsgesetz?

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Im Rahmen der Erforschung der Ursachen der Finanzkrise stellten die Aufsichtsbehörden der Banken mit Erschrecken fest, dass ihre bisherigen Eingriffsmöglichkeiten nicht ausreichten, um eine geordnete Abwicklung und Restrukturierung in Krise geratener Finanzinstitute zu ermöglichen. Obwohl die Diskussionen in den zuständigen Gremien auf internationaler und europäischer Ebene noch in vollem Gange waren, preschte der deutsche Gesetzgeber vor und verabschiedete Ende 2010 das Restrukturierungsgesetz. Insbesondere der Aspekt der „Systemrelevanz“ ist dabei jedoch noch schwammig, stellen Florian Brem und Levin von Usslar von der Sozietät Buse Heberer Fromm fest.

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Geprägt vom traditionellen Insolvenzrecht, bei dem die geordnete Feststellung und Abwicklung der Gläubigerinteressen im Vordergrund steht, ohne dass die Interessen des Marktes berücksichtigt werden müssen, stand der Gesetzgeber beim Restrukturierungsgesetz vor der Aufgabe, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der die Reorganisation in Krise geratener Finanzinstitute unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf den Finanzmarkt regelt. Wie häufig bei juristischem Neuland finden sich daher im Text des Restrukturierungsgesetzes an vielen Stellen unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Interpretation Schwierigkeiten bereitet.

Wann ist ein Finanzinstitut systemrelevant?

Dies gilt in besonderem Maße für das Kernstück des Gesetzes, nämlich die Definition der Systemrelevanz von Finanzinstituten. Denn bei einer Bestandsgefährdung systemrelevanter Institute sieht das Gesetz die Möglichkeit weitgehender Restrukturierungsmaßnahmen vor. Das Gesetz definiert einen Zusammenbruch eines Finanzinstituts dann als systemrelevant, wenn er erhebliche negative Auswirkungen auf andere Unternehmen des Finanzsystems, auf die Finanzmärkte oder auf das allgemeine Vertrauen der Anleger und anderer Marktteilnehmer in die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems hat.

Die momentan noch unbestimmten Rechtsbegriffe werden sich im Laufe der Zeit durch Rechtswissenschaft, Behördenpraxis sowie einschlägige Gerichtsurteile und frühere Gesetze notwendigerweise konkretisieren. Derzeit kommen dafür jedoch nur die Verlautbarungen der BaFin und die dem Gesetz vorangegangenen Finanzmarktstabilisierungsgesetze (SoFFin) in Betracht. Diese sahen – wenn auch zeitlich begrenzt – erstmals die Möglichkeiten staatlicher Beihilfen für in Krise geratene systemrelevante Banken vor und kamen mit einer kürzeren, wenngleich nicht klareren Formulierung aus. Danach ist über staatliche Hilfen unter Berücksichtigung der Bedeutung des von der Stabilitätsmaßnahme erfassten Unternehmens für die Finanzmarktstabilität zu entscheiden. Vergegenwärtigt man sich die Institute, die vom SoFFin staatliche Hilfen erhalten haben, so hilft dies für eine Konkretisierung wenig. So wurden z. B. der AarealBank, der Corealcreditbank, aber auch der Commerzbank und der Hypo Real Estate (HRE) Beihilfen gewährt. Geht man davon aus, dass es sich bei all diesen Banken um systemrelevante Institute handelt, so dürfte es schwierig sein, einen gemeinsamen Kern zu finden, der als Ausgangspunkt für eine Interpretation der Systemrelevanz dienen könnte, ohne dass nicht ein Großteil der Banken darunter fiele. Auch ein Blick auf die BaFin hilft nicht weiter. In ihrer Aufsichtsrichtlinie vom 21.2.08 definiert sie die Systemrelevanz in ähnlicher Weise wie der Gesetzgeber im Restrukturierungsgesetz. Auf dieser Basis hat die BaFin in ihren Jahresberichten 2008 und 2009 von den ihrer Aufsicht unterliegenden Finanzinstituten 1,8% als hoch, 9,4% als mittel und 88,8% als niedrig systemrelevant eingeschätzt.

Für das Restrukturierungsgesetz legen daher die Praxis des SoFFin und die Verlautbarungen der BaFin die Interpretation nahe, dass die überwiegende Mehrheit der in Deutschland tätigen Finanzinstitute als systemrelevant anzusehen wären. Eine so weite Auslegung des Begriffs dürfte aber gegen das Bestimmtheitsgebot eines Gesetzes verstoßen, zumal es bislang außer Zweifel stand, dass eine Insolvenz nicht systemrelevanter Banken durch das Gesetz nicht berührt werde, sondern weiter möglich bleiben müsse. Hinzu kommt: Liegt nach der Prognose der Aufsichtsbehörde eine Systemgefährdung vor und stehen andere Mittel nicht zur Verfügung, so ist das der Aufsichtsbehörde durch den Gesetzeswortlaut eingeräumte Ermessen („kann“) bei verfassungsgemäßer Auslegung als „muss“ zu verstehen. Damit wird aber aus dem Restrukturierungsgesetz ein generelles Insolvenzgesetz für Kreditinstitute. Dies steht dann im Widerspruch zu den Erklärungen maßgeblicher Vertreter der Aufsichtsbehörden, dass eine Insolvenz nicht systemrelevanter Banken nach wie vor möglich sei.

Kurzfristige Änderungen sind vorprogrammiert

Angesichts dieser Unklarheiten und in Anbetracht der Tatsache, dass bereits durch die bestehenden Finanzmarktstabilisierungsgesetze für den Notfall – wenn auch zeitlich begrenzt – gesorgt war, hätte der Gesetzgeber besser daran getan, die Ergebnisse der internationalen Diskussion abzuwarten, statt vorzupreschen. Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass die EU den Entwurf einer entsprechenden Richtlinie für das Frühjahr 2011 in Aussicht gestellt hat, die dann von Deutschland umgesetzt werden muss und aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin zu einer kurzfristigen Änderung des jüngst erst in Kraft getretenen Restrukturierungsgesetzes führen wird.

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