Geldpolitik

Informationspflichten erhöhen Verwaltungsaufwand

Anfang Juli tritt die europäische Marktmissbrauchsverordnung (MMVO) in Kraft. Damit werden die kapitalmarktrechtlichen Pflichten zur Ad-hoc-Publizität, zum Führen von Insiderverzeichnissen und zur Mitteilung von Geschäften von Führungskräften erstmals auch in den qualifizierten Freiverkehrssegmenten (z.B. Entry Standard in Frankfurt und m:access in München) gelten. Stephan Schulz, Partner bei der Kanzlei Noerr in Frankfurt, berichtet im nachfolgenden Beitrag über die Konsequenzen, die sich für die betroffenen Unternehmen hieraus ergeben.

Die qualifizierten Freiverkehrssegmente sollen kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern. Im Vergleich zum allgemeinen Freiverkehr gelten deutlich strengere Voraussetzungen für die Einbeziehung von Wertpapieren. So erfolgt die Einbeziehung nur auf Antrag des Emittenten und grundsätzlich nur nach Veröffentlichung eines Prospekts. Außerdem bestehen Einbeziehungsfolgepflichten, insbesondere zur Veröffentlichung von unterjährigen Finanzinformationen und von wesentlichen neuen unternehmensbezogenen Informationen. Andererseits verfügen die Emittenten über ein größeres Maß an Flexibilität als am regulierten Markt: Die Rechnungslegung kann nach nationalen Standards (HGB) erfolgen. Ferner haben bislang zahlreiche Regelungen des WpHG keine Anwendung auf die qualifizierten Freiverkehrssegmente gefunden. Im Wesentlichen gelten in diesen Segmenten nur die Insiderverbote und das Verbot der Marktmanipulation.

Am 3. Juli wird sich diese Rechtslage ändern. Die MMVO, die wichtige Teile des WpHG ersetzen wird, erfasst nicht nur Emittenten im regulierten Markt, sondern auch im Freiverkehr, wenn die Einbeziehung auf Antrag des Emittenten erfolgte, was bei Emittenten in den qualifizierten Freiverkehrssegmenten stets der Fall ist.

Erstens unterliegen die Emittenten dann der Pflicht zur Ad-hoc-Publizität, d.h. sie müssen Insiderinformationen, die sie unmittelbar betreffen, sofort veröffentlichen. Gegenüber den bislang geltenden Pflichten zur Veröffentlichung unternehmensbezogener Umstände liegt hierin eine erhebliche Verschärfung. Der Begriff der Insiderinformation ist weiter als der Begriff des „im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetretenen Umstands““, wie er zumeist in den einschlägigen Freiverkehrsbedingungen verwendet wird, denn er umfasst insbesondere auch zukünftige Informationen. Die Emittenten werden sich nunmehr auch mit dem Problem der so genannten Zwischenschritte in gestreckten Sachverhalten befassen müssen. Hierbei geht es um die Frage, wann bei komplexen Abläufen (z.B. M&A-Transaktionen) die Insiderinformation und damit die Veröffentlichungspflicht entsteht und ob ausnahmsweise von einem Recht zur Selbstbefreiung von der Veröffentlichungspflicht Gebrauch gemacht werden kann.

Zweitens wird auch in den qualifizierten Freiverkehrssegmenten die Pflicht zur Führung von Insiderlisten gelten. Emittenten müssen Listen aller Personen aufstellen, die Zugang zu Insiderinformationen haben. Die Listen sind auf dem aktuellsten Stand zu halten und der BaFin auf deren Verlangen vorzulegen. Ferner gelten Belehrungspflichten in Bezug auf die in der Insiderliste geführten Personen.

Drittens müssen Personen, die bei einem Emittenten Führungsaufgaben wahrnehmen oder in enger Beziehung zu solchen Personen stehen (z.B. Ehepartner), Eigengeschäfte in Aktien oder Schuldtiteln des Emittenten oder bestimmten anderen Finanzinstrumenten dem Emittenten und der BaFin melden (Directors‘ Dealings). Der Emittent muss die zugegangenen Meldungen veröffentlichen. Für Führungskräfte gilt darüber hinaus grundsätzlich ein Handelsverbot im Zeitraum von 30 Kalendertagen vor der Ankündigung des Halbjahres- oder des Jahresabschlusses (Closed Periods). Der Emittent muss die für ihn tätigen Führungskräfte über die Meldepflichten und das Handelsverbot schriftlich belehren und eine Liste der betroffenen Führungskräfte führen.

Für die Emittenten in den qualifizierten Freiverkehrssegmenten bedeuten die neuen Pflichten einen erhöhten Verwaltungsaufwand. Anders als die Überwachung der Einhaltung der Freiverkehrsbedingungen, für die die Börsen zuständig sind, wird der Vollzug der MMVO durch die BaFin erfolgen. Die Einhaltung der Folgepflichten wird daher in Zukunft ebenso streng überwacht werden wie schon bislang die Zulassungsfolgepflichten im regulierten Markt. Zum anderen werden Verstöße gegen die MMVO deutlich schärfere Sanktionen nach sich ziehen als Verstöße gegen die Freiverkehrsrichtlinien. Die strengere behördliche Überwachung und die scharfen Sanktionen werden bei den Emittenten zu einem hohen Umsetzungsdruck führen, d.h. sie müssen ihre internen Prozesse so aufsetzen, dass die Einhaltung der Normen sichergestellt ist.

Fazit

Allgemein betrachtet dürfte die Attraktivität der qualifizierten Freiverkehrssegmente für Emittenten unter den Verschärfungen leiden. Ihr Regulierungsrahmen nähert sich dem des regulierten Marktes an. Als wesentlicher Vorteil dieser Segmente bleibt die Möglichkeit zur Finanzberichterstattung nach nationalen Rechnungslegungsstandards. Bedenkt man, dass viele der größeren Emittenten bereits freiwillig ihre Abschlüsse nach IFRS aufstellen, könnte diese Annäherung einen Anreiz zum Wechsel in den regulierten Markt schaffen: Er würde nur zu unerheblich mehr regulatorischem Aufwand führen, der durch den Zugang zu neuen Investorengruppen kompensiert werden könnte.

 

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