Investitionsschutz im Freihandelsabkommen TTIP
"Das geplante Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) zwischen der EU und den USA soll die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Die Verhandlungen sind in vollem Gange. Die Vorteile für den „Exportweltmeister“ Deutschland liegen laut Rupert Bellinghausen, Partner bei Linklaters, auf der Hand. Verbraucherbeschützer befürchten indes eine Absenkung europäischer Standards: Die Stichworte lauten „Chlorhühnchen“, „Genfood“ oder „Hormonfleisch“. In Fachkreisen stehen die Klauseln zum Investitionsschutz im Fokus.
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Das geplante Freihandelsabkommen „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) zwischen der EU und den USA soll die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Die Verhandlungen sind in vollem Gange. Die Vorteile für den „Exportweltmeister“ Deutschland liegen laut Rupert Bellinghausen, Partner bei Linklaters, auf der Hand. Verbraucherbeschützer befürchten indes eine Absenkung europäischer Standards: Die Stichworte lauten „Chlorhühnchen“, „Genfood“ oder „Hormonfleisch“. In Fachkreisen stehen die Klauseln zum Investitionsschutz im Fokus.
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Investitionsschutzklauseln räumen Unternehmen, die im Ausland investieren, besondere Rechte ein. Wenn sich die rechtlichen Standards, auf die der Investor vertraut hat, nachträglich zu dessen Nachteil ändern, kann er den ausländischen Staat auf Schadensersatz verklagen. Ursprünglich sollten die Regelungen, zumeist in bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) vereinbart, Enteignungen oder Diskriminierungen ausländischer Investoren in Entwicklungs- und Schwellenländern verhindern. Dort gehen politische Veränderungen erfahrungsgemäß mit rechtlichen einher, die viele Unternehmen um die Früchte ihrer Investitionen bringen. Beispiele sind die Verstaatlichung der Ölindustrie in Venezuela oder Enteignungen ausländischer Unternehmer in Simbabwe unter Mugabe. Weil das dortige Rechtssystem schon mangels Gewaltenteilung keinen hinreichenden Schutz bietet, bedarf es eines unabhängigen Schiedsgerichts für Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten. Die BITs wurden zum Erfolgsmodell, weil gerade ein Staat mit zweifelhaftem Ruf ausländische Investoren nur anlocken kann, wenn er ein Mindestmaß an durchsetzbarem Investitionsschutz bietet.
Angst vor einer Klagewelle gegen EU-Staaten
In jüngster Zeit mehren sich aber Investitionsschutzklagen gegen Staaten, deren Rechtssystem und Demokratie funktionieren: Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall klagt wegen des Atomausstiegs gegen Deutschland, der US-Tabakkonzern Philip Morris wegen der Einführung von Einheitsverpackungen für Zigaretten gegen Australien, verschiedene europäische Unternehmen wegen des Schuldenschnitts gegen Griechenland. Kritiker befürchten einen weiteren Anstieg, weil die Investitionsschutzklauseln vage formuliert seien. Insbesondere US-Anwaltskanzleien könnten sich auf dieses lukrative Geschäftsfeld spezialisieren und bei entsprechenden Gesetzesänderungen eine Klagewelle gegen europäische Staaten auslösen. Ein Schiedsgericht ohne staatliche Autorität entscheide dann über Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe. Die Verhandlungen seien nicht öffentlich, der Schiedsspruch sei verbindlich und könne praktisch weltweit vollstreckt werden.
Beeinflussung politischer Entscheidungen?
Nicht nur Verbraucherschützer sehen die Gefahr, dass politische Entscheidungen wie die Verschärfung von Umweltgesetzen oder Lebensmittelrichtlinien durch das Androhen von Klagen ausländischer Investoren beeinflusst werden. Politiker könnten trotz legitimer Gründe davor zurückschrecken, die Rahmenbedingungen zu verschärfen. Wirtschaftliche Interessen könnten Politik und Gesellschaft lähmen. Die Kritiker argumentieren: Europäische Rechtsordnungen würden auch ohne Investitionsschutzklauseln genügend Schutz bieten. Ausländische Unternehmen dürften nicht mehr Klagemöglichkeiten haben als inländische. US-Unternehmen betonen dagegen, sie könnten vor staatlichen Gerichten als ausländischer Investor im Streit mit einem Staat kein objektives Verfahren durch dort angestellte Richter erwarten. Dass ausländische Investoren ihre Risiken begrenzen wollen, ist legitim. Konflikte wollen sie fair und effizient lösen, ohne Heimvorteil des verklagten Staates. Die Investitionsschutzklauseln wirken zudem in beide Richtungen: Für europäische Unternehmen ist der Streitbeilegungsmechanismus interessant, weil er ein viel kostspieligeres Klageverfahren gegen die USA vor einem US-Gericht vermeidet. Je wirksamer der besondere Schutz ausgestaltet ist, desto attraktiver sind Investitionen über Landesgrenzen hinweg.
Eine Frage der Ausgestaltung
Den Bedenken lässt sich durch eine sorgfältige Ausgestaltung der Investitionsschutzklauseln begegnen: Klare Definitionen der Begriffe Investor und Investition, Verhinderung missbräuchlicher Klagen, Begrenzung von Prozesskosten. Kritische Bereiche wie der Finanzsektor können ausgeklammert werden, Sicherheitsklauseln für Krisenszenarien lassen sich einbauen. Die laufenden Verhandlungen bieten den nötigen Spielraum. Die Befürworter bauen auf eine Signalwirkung weit über das TTIP hinaus. Die Investitionsschutzklauseln könnten sich weltweit als Standard durchsetzen und beispielsweise China zwingen, ein ähnlich hohes Schutzniveau zu akzeptieren. Insoweit wird das TTIP als einmalige Gelegenheit angesehen. Im Augenblick stehen die Zeichen aber noch auf Ablehnung. Die Bundesregierung hat jüngst die Unterzeichnung eines dem TTIP ähnlichen Abkommens, des geplanten Handelsabkommens mit Kanada (Ceta), unter Hinweis auf eine rechtliche Privilegierung von Investoren verweigert. In welcher Form auch immer die Investitionsschutzklauseln im TTIP die Verhandlungen überleben werden: Die Staatengemeinschaft muss einen gerechten Ausgleich zwischen dem privaten Interesse an Investitionsschutz und dem staatlichen Interesse an flexibler Gesetzgebung und Regulierung finden.
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