Drei Fragen an ...

Lieferketten – Kaum zu überblickende Risiken

Gerade erst ist das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“ – kurz LkSG – in Kraft getreten, schon gibt es Kritik an seiner Wirksamkeit. Nur die wenigsten Unternehmen, heißt es, wüssten vollständig Bescheid über die Zustände bei ihren direkten Lieferanten, bei mittelbaren Geschäftspartnern blicke fast niemand durch. Umsetzungsprobleme sind damit quasi vorprogrammiert.

Thomas Gilles und Franz D. Kaps
Thomas Gilles und Franz D. Kaps © Baker McKenzie

Was ändert sich mit dem LkSG in der Praxis?

Thomas Gilles: Unternehmen werden nun mit den praktischen Umsetzungsproblemen des LkSG konfrontiert. Dies beginnt bereits bei der Bestandsaufnahme der eigenen Lieferkette. Meist kennen die Unternehmen ca. 80% ihrer direkten Vertragspartner, also der unmittelbaren Zulieferer. Auf der Ebene der mittelbaren Zulieferer sind Unternehmen ohne vertraglich verankerte Transparenzpflicht oder Lieferanten-Audits i.d.R. weniger als 20% ihrer mittelbaren Zulieferer bekannt. In der Praxis fordert das LkSG von Unternehmen jedoch Transparenz in ihren Lieferketten. Sie sollen up- und downstream ihre Lieferkette vom jeweiligen Produzenten bis hin zum Endkunden kennen und auf die Einhaltung der LkSG-Menschenrechts- und Umweltstandards durchleuchten.

Franz D. Kaps: Diese „Lieferketten-Transparenz“ erhalten Unternehmen u.a. durch in ihren Lieferverträgen integrierte Auskunfts- und Auditierungsrechte, die sicherstellen, dass die LkSG-Pflichten upstream bis zum Produzenten der Waren oder dem Erbringer von Dienstleistungen und downstream bis zum Endkunden weitergegeben werden. Darüber hinaus sollten die Lieferketten auf die Einhaltung der LkSG-Menschenrechts- und Umweltstandards durch eine „Risikoanalyse der Lieferkette“ überprüft werden. Auf der Grundlage der Risikoanalyse und von anderweitig gewonnen Erkenntnissen sollten Unternehmen festgestellte Risiken bzw. Verletzungen abstellen und Präventionsmaßnahmen ergreifen. Um diesen Verpflichtungen nachzukommen, haben unter das LkSG fallende Unternehmen dafür zu sorgen, dass ihre Lieferverträge die Verpflichtung enthalten, die LkSG-Menschenrechts und -Umweltstandards einzuhalten, Verstöße gegen diese Standards abzustellen und die Aussetzung oder – als ultima ratio – die Kündigung der Lieferbeziehung zu ermöglichen.

Gilles: In der Praxis sind bzw. werden die Lieferantenverträge in zwei Stufen an die LkSG-Anforderungen folgendermaßen angepasst: Zum einen wird der unmittelbare Zulieferer verpflichtet, die im LkSG festgelegten Menschenrechts- und Umweltstandards einzuhalten und LkSG-Verstöße bzw. -Risiken abzustellen, dem Unternehmen Auskunft über seine eigenen Zulieferer zu erteilen, dem Unternehmen ein Auditierungsrecht einzuräumen und dem Unternehmen zu gestatten, den Liefervertrag bei LkSG-Verstößen auszusetzen bzw. zu kündigen. Außerdem wird der unmittelbare Zulieferer verpflichtet, auch seine eigenen Zulieferer und deren jeweilige Zulieferer bis zum Herstellungsort bzw. Endkunden zu den genannten Punkten verpflichten. 

Wie bereiten sich Unternehmen mit 1.000 bis 3.000 Mitarbeitern, für die das LkSG erst ab 2024 gilt, am besten vor?

Gilles: Unsere Erfahrung bei der Implementierung der LkSG-Standards zeigt, dass diese Unternehmen in einem ersten Schritt rechtzeitig damit beginnen sollten, Transparenz über ihre Lieferketten zu erhalten. Zu diesem Zweck sollten sie zur Umsetzung der LkSG-Anforderungen die zuvor genannten Verpflichtungs- und Weitergabe-Klauseln in ihre Lieferverträge integrieren. In einem zweiten Schritt sollten die Unternehmen eine Risikoanalyse durchführen und, abhängig von dem entlang der Lieferkette festgestellten LkSG-Risiko, ihr Compliance-System anpassen. Das in das unternehmensinterne Compliance-System zu integrierende LkSG-Risikomanagement sollte dem identifizierten Risiko entsprechen und in allen relevanten Geschäftsprozessen verankert sein und erfordert einen unabhängigen Menschenrechtsbeauftragten zur Überwachung der LkSG-Standards. Werden im Rahmen der Risikoanalyse LkSG-Risiken oder -Verstöße festgestellt, sollten bereits jetzt Präventiv- und Abhilfemaßnahmen ergriffen werden, um diese Risiken oder Verstöße zu beheben. Durch solche Präventions- und Abhilfe-Maßnahmen können Unternehmen bereits 2023 ihre Lieferketten LkSG-konform ausgestalten und dadurch verhindern, dass der auf der Unternehmenswebsite zu veröffentlichende Bericht über die Einhaltung der LkSG-Standards für den Berichtszeitraum 2024 bereits 2023 festgestellte LkSG-Risiken und -Verstöße enthält. Ein solches strategisches Vorgehen schützt die Reputation des Unternehmens und seine Marken.

Welche Veränderungen bzw. Verschärfungen sind mit der EU-Lieferkettenrichtlinie CSDDD zu erwarten, und wann würden diese greifen?

Kaps: Durch den gegenwärtigen Kommissions-Entwurf der  EU-Lieferkettenrichtlinie „on Corporate Sustainability Due Diligence“ (EU-RL) würde zunächst der aktuelle LkSG-Anwendungsbereich erweitert. Erfasst würden bereits EU-Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern und Nicht-EU-Unternehmen mit einem Mindestumsatz von mehr als 40 Mio. Euro auf dem EU-Markt. Die EU-RL enthält insbesondere die folgenden Neuerungen: Die Rechtsgüter der EU-Lieferkettenrichtlinie werden gegenüber dem LkSG erweitert und umfassen u.a. auch das Klimaschutzziel des Pariser Klimaschutzabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Daneben soll nach nationalem EU-Recht ein materieller Schadensersatzanspruch für Betroffene von Menschenrechts- und Umweltverstößen geschaffen und eine Management-Haftung insbesondere für Vorstand, Geschäftsführer, gegebenenfalls auch für den Aussichtsrat nach nationalem Recht etabliert werden. Die EU-Mitgliedsstaaten haben nach der für das Jahr 2023 geplanten Verabschiedung zwei Jahre Zeit, diese umzusetzen. Eine Verabschiedung der EU-RL im Jahr 2023 würde bedeutet, dass alle EU-Mitgliedstaaten bis 2025 eine nationale Lieferkettengesetzgebung mit den Mindeststandards der EU-RL verabschieden müssten.

 

Über die Interviewpartner: 

Thomas Gilles ist Partner bei Baker McKenzie und leitet die EMEA-China Gruppe der Kanzlei. Er ist schwerpunktmäßig bei grenzüberschreitenden M&A- und Private-Equity-Transaktionen, Joint Ventures, Unternehmensumstrukturierungen, ESG-bezogenen Due-Diligence-Prüfungen sowie bei Compliance-Angelegenheiten tätig. 

Franz D. Kaps ist Associate bei Baker McKenzie mit Schwerpunkt auf Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren. Daneben berät er zu nachhaltigen Lieferketten, Due-Diligence-Prüfungen in der Lieferkette und verschiedenen Lieferkettengesetzen, ESG-Compliance sowie Ermittlungen und Compliance-Themen wie Whistleblowing, Geldwäsche und Korruption.

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