Maßgeschneiderte Finanzierungsinstrumente
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Auch vor dem Hintergrund des historisch niedrigen Zinsniveaus stellen Unternehmensanleihen eine interessante Option dar. War die Begebung von Anleihen in der Vergangenheit überwiegend großen Konzernen vorbehalten, so wird diese Form der Fremdkapitalaufnahme zunehmend auch für mittelständische Unternehmen und Kapitalmarktneulinge attraktiv. So wurden in Deutschland im Laufe der letzten 18 Monate Platzierungs- und Handelsplattformen geschaffen, die insbesondere dem Mittelstand die Kapitalaufnahme über Unternehmensanleihen ermöglichen sollen. Das Motto lautet dabei: einfach, schnell und kostengünstig. Auf formale Voraussetzungen wie Unternehmensgröße und Mindestanleihevolumen wird weitgehend verzichtet. Statt kostspieligem Underwriting durch Investmentbanken werden Mittelstandsanleihen häufig im Wege der Eigenemission begeben.
Handelsplattformen für Unternehmensanleihen
Anleihen sind Schuldverschreibungen, die neben dem Anspruch auf Rückzahlung des Nominalbetrages auch den Anspruch auf Zinszahlung verbriefen. Unternehmensanleihen werden üblicherweise zu Refinanzierungszwecken, zur Akquisitionsfinanzierung oder im Zusammenhang mit Leveraged Buyouts begeben, können aber neben Eigenkapital und Bankdarlehen auch eine dritte Säule zur Finanzierung des Gesellschaftszweckes darstellen. Für Unternehmensanleihen hat z. B. die Frankfurter Wertpapierbörse mit dem Entry Standard ein Marktsegment geschaffen, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Der Zugang zum Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse gestaltet sich konzeptionell einfach. Zum Markteintritt hat der Emittent nur wenige Unterlagen einzureichen, insbesondere den gebilligten Wertpapierprospekt, eine Bonitätseinstufung, wichtige Bilanzkennzahlen (u. a. zur Verschuldung), den testierten Jahresabschluss mit Lagebericht, ein Kurzporträt des Unternehmens mit Angaben zur Anleihe und den Unternehmenskalender. Ein Deutsche Börse-Listing-Partner unterstützt den Emittenten vor, während und nach der Notierungsaufnahme, so auch bei der Strukturierung der Emission in Abhängigkeit vom jeweiligen Finanzierungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der Bestimmung des Emissionsvolumens, der Fälligkeit und des Kupons.
Chance und Risiko
Die Vorteile des Retail-Plattform-Konzeptes, für das der Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse ein Beispiel ist, liegen aus Unternehmenssicht auf der Hand: geringe Transaktionskosten, zügiger Zugang zum Kapitalmarkt, überschaubare Transparenzfolgepflichten, Nutzung einer etablierten Handelsplattform bei der Platzierung bei institutionellen und privaten Anlegern. Vorgegeben ist lediglich, dass es sich bei den Schuldverschreibungen nicht um nachrangige Verbindlichkeiten des Emittenten handeln darf und dass sie eine Stückelung von maximal 1 000 Euro aufweisen.
Was aus Unternehmenssicht bestechend einfach erscheint, wirft aus Investorensicht jedoch Fragen auf. Denn mit der Kostenersparnis des Emittenten geht auch ein verminderter Anlegerschutz einher. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den über Retail-Plattformen platzierten Anleihen überwiegend um spekulative Hochzinsanleihen handeln dürfte, bereitet insbesondere das Fehlen eines sorgsam austarierten Covenant-Paketes, so wie es bei konventionellen Anleihebegebungen im Hochzinsbereich Standard ist, Unbehagen. Kleinanlegern fehlt jedoch häufig die Erfahrung, das Risiko einer Anleihe hinreichend zu würdigen. Gerade das fehlende Erfordernis eines formalen Underwritings kann sich aus Investorensicht als Nachteil erweisen. In Ermangelung einer formalen Due-Diligence-Prüfung hat der Anleger selbst die Evaluierung des Emittenten durchzuführen. Investoren sind daher gehalten, den Marktanteil des Emittenten, die Lieferanten- und Kundenbeziehungen, das Markenimage, die vorgesehene Nutzung der zu erzielenden Anleihenerlöse, die Stabilität der Cashflows, die Kapitaldienstdeckung und etwaige Analystenratings zu prüfen.
Fazit
Die Begebung von Unternehmensanleihen auf den Retail-Platzierungs- und Handelsplattformen stellt eine kostengünstige und rasche Möglichkeit des Kapitalmarktzugangs dar. Betrachtet man aus Investorensicht die relativ hohe Verzinsung, so offenbart sich hier zunächst eine „Win-Win-Situation“. Gleichzeitig mahnt die fehlende Intermediärstellung der üblicherweise als Underwriter fungierenden Investmentbanken jedoch zur Vorsicht. So sollten Investoren die Qualität des Emittenten hinterfragen und prospektive Emittenten zunächst daraufhin prüfen, ob sie tatsächlich bereit für den Kapitalmarkt sind. In der Praxis sind Emittenten daher langfristig gut beraten, wenn sie Finanzberater und Kapitalmarktrechtsexperten in ihre Emission einbeziehen.
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