Medienkonvergenz: Aussichtslose Aufholjagd
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Obgleich die technische und ökonomische Konvergenz von Telekommunikation und elektronischen Medien bis in die 1970er Jahre zurückreicht, verhalf ihr erst die Digitaltechnik zum Durchbruch. Sie stellte ein einheitliches Datenformat bereit, das die Zusammenführung vormals getrennter Übertragungswege, Dienste und Endgeräte hin zu interaktiven Plattformen und multifunktionalen Kommunikationsgeräten ermöglichte. Der technischen Konvergenz folgte eine Konvergenz der Märkte, bei der es mittels Unternehmensverflechtung und -kooperation darum ging, in neue Marktsegmente entlang der digitalen Wertschöpfungsketten zu expandieren. Die Nutzer reagierten auf das wachsende Angebot mit einer Diversifizierung ihres Rezeptionsverhaltens.
Gesetzgeber und Markt: Hase und Igel
Europäische wie nationale Gesetzgeber befinden sich in einer halsbrecherischen Aufholjagd gegen die technische und ökonomische Entwicklung. Die in der analogen Welt entwickelte Trennung zwischen Infrastrukturen und Inhalten und das Konzept der gesetzlichen Festschreibung von Angebotstypen gehen an den Realitäten des digitalen Zeitalters vorbei. Oft unternimmt der Gesetzgeber nicht einmal mehr den Versuch, dem Markt, der Regulierungspraxis und den Gerichten die Lösung neuer Fragen auf Grundlage vorhandener Rechtsregeln zu überlassen, sondern schafft gleich neue Paragrafen. Gesetze werden in immer schnellerer Abfolge verabschiedet, ergänzt und erweitert. Während das Fernmeldeanlagengesetz in den 74 Jahren seines Bestehens kaum angepasst werden musste, wurde das Telekommunikationsgesetz seit 1996 mehr als zwölf Mal wesentlich geändert. Im Rundfunkbereich sieht es ähnlich aus: Seit 1994 wird der Rundfunkstaatsvertrag fast jährlich umgeschrieben.
Wege aus dem Regelungsdickicht?
Der Gesetzgeber kann das Wettrennen nicht gewinnen – zu rasant und unberechenbar ist der technische und ökonomische Transformationsprozess. Statt jedoch klare und zukunftsoffene Rahmenbedingungen zu setzen, verheddert sich der Gesetzgeber in Begriffen und Einzelfragen. So sollen Regelungen für „fernsehähnliche Telemedien“ neuerdings Dienste erfassen, die nach Form und Inhalt mit klassischem Fernsehen zwar vergleichbar sind, ohne aber Fernsehen zu sein. Eine verlässliche Einordnung ihrer Angebote ist Unternehmen so kaum noch möglich. Auch in dem datenschutzrechtlichen Regelungsdickicht von Bundesdatenschutzgesetz, Telemediengesetz und Telekommunikationsgesetz hat das Recht längst seine Steuerungsfunktion verloren. Besser wäre es, wenn sich der europäische wie die nationalen Gesetzgeber auf inhaltliche Grundregeln und transparente Verfahren beschränkten, mittels derer neuartige Regelungsprobleme technischer Entwicklungen erkannt, unter Beteiligung der betroffenen Kreise „kleingearbeitet“ und erforderlichenfalls durch staatliche Regulierungsentscheidungen gelöst werden können. Ein positives Beispiel für eine solche gesetzgeberische Selbstbeschränkung könnte die Behandlung des Themas „Netzneutralität“ werden.
„Netzneutralität“
Die Konvergenz von Netzen und Diensten, von Übertragungsleistungen und Inhalten macht es erforderlich, Kosten und Nutzen der konvergierenden Bereiche neu auszutarieren. Der Kampfbegriff in der hierzu geführten politischen Diskussion lautet „Netzneutralität“. Er steht für die bisherige Praxis, dass alle Daten im Internet kostenfrei und gleichberechtigt übertragen werden. Zunehmend beanspruchen Netzbetreiber aber, an den Gewinnen zu partizipieren, die der kostenintensive Netzausbau den Inhalteanbietern in Gestalt profitabler Endkundenmärkte beschert. Der Schlüssel dazu liegt in der Erhebung gestaffelter Entgelte von Inhalteanbietern für die bevorzugte Behandlung ihrer Daten, bspw. durch eine zeitlich vorrangige Durchleitung, die Bereitstellung zusätzlicher Bandbreiten oder einer höheren Datenqualität.
Der europäische Gesetzgeber hat bisher aus gutem Grund von Maßnahmen abgesehen: Das EU-Recht in seinen nationalen Ausprägungen reicht aus, um zu verhindern, dass Netzbetreiber eine Inhaltskontrolle vornehmen, wenn dies nicht durch gesetzliche Regelungen (wie z. B. behördliche Sperrungsverfügungen) angeordnet wird. Bestehende Diskriminierungsverbote gewährleisten, dass weder beim Netzwerkmanagement noch bei der Schaffung von Prioritäts- und Qualitätsklassen einzelne Diensteanbieter gegenüber Netzbetreibern diskriminiert werden dürfen.
Kurzum: Ein wirksamer Wettbewerb und gezielte Regulierung auf der Grundlage klarer „allgemeiner“ Gesetze eignen sich zur Bewältigung von Konflikten im Konvergenzprozess allemal besser als gesetzgeberische Hyperaktivität.
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