Geldpolitik

Vorläufiges Aus für ungedeckte Leerverkäufe

Leerverkäufe sind während der Finanzkrise verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten. Manche halten sie für mitverantwortlich für den Lehman-Zusammenbruch, aktuell gelten sie als krisenverschärfend im Zusammenhang mit drohenden Staatspleiten. Leerverkäufe setzen daher auch Ministerien und Aufsichtsbehörden unter Handlungszwang. Besonders weitreichende Konsequenzen will Deutschland ziehen: Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat am Dienstag einen aktualisierten Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem u. a. ungedeckte Leerverkäufe verboten werden sollen. Jochen Tyrolt und Adrian Bingel von der Kanzlei Gleiss Lutz beleuchten Hintergründe und Folgen.

Nur eine Woche zuvor, am 18.5.10, hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) völlig überraschend ungedeckte Leerverkäufe von Aktien ausgewählter Finanzinstitute und bestimmter Schuldtitel von Staaten der Eurozone untersagt. Die BaFin begründete diesen Schritt mit den jüngsten Unsicherheiten an den Finanzmärkten und der außergewöhnlichen Volatilität bei Schuldtiteln von Staaten der Eurozone. Auch ungedeckte Credit Default Swaps (CDS), mit denen auf die Verschlechterung der Bonität eines Euro-Staates gewettet werden kann, hat die BaFin verboten. Der Diskussionsentwurf aus dem BMF geht nun noch deutlich weiter: Er erfasst ungedeckte Leerverkäufe in Aktien (einschließlich hierauf bezogener Derivate) aller Unternehmen, die an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind. Gleiches gilt für die Offenlegungspflichten von Leerverkaufspositionen. Zudem werden Derivate auf den Euro, die nicht der Absicherung eigener Währungsrisiken dienen, verboten. Diese Regelungen sollen in ein gesondertes „Gesetz zur Stärkung der Stabilität der Finanzmärkte“ einfließen.

Wirkungen von Leerverkäufen

Grundsätzlich können Leerverkäufe, also Geschäfte bei denen der Verkäufer die entsprechenden Wertpapiere zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ökonomisch betrachtet gar nicht „besitzt“, positive Markteffekte haben, indem sie Effizienz und Liquidität erhöhen. So können z. B. Marktteilnehmer, die einzelne Aktien für überbewertet halten, dies durch Leerverkäufe auch dann zum Ausdruck bringen, wenn sie selbst keine Aktien besitzen. Demgegenüber steht das Risiko, dass eine hohe Zahl von Leerverkäufen sinkende Kurse nach sich zieht. Signalisieren gewisse Investoren, dass sie die Wertpapiere für überbewertet halten, kann dies zu einer Kettenreaktion führen, die den Kurssturz verstärkt. Sinkende Kurse an sich sind nichts Verwerfliches. Sind die Signale indes manipulativ, führt das zu einem ökonomisch nicht gerechtfertigten Abwärtstrend des Kurses, der wiederum negative Folgen für die Liquidität der betroffenen Unternehmen selbst haben kann. Bei ungedeckten Leerverkäufen sind diese Risiken besonders hoch, da sie ohne finanziellen Aufwand – etwa in Form von Wertpapierleihgebühren oder Sicherheiten – schneller und in größerem Umfang vorgenommen werden können als gedeckte Leerverkäufe.

Plötzliches Verbot

Dass das BMF und die BaFin die rechtliche Behandlung von Leerverkäufen diskutierten, war bekannt. Überraschend war jedoch die Art und Weise des jüngsten Vorgehens: Ende März erließ die BaFin zunächst eine Allgemeinverfügung, mit der sie Leerverkäufe in Aktien ausgewählter Unternehmen der Finanzbranche sowie wirtschaftlich vergleichbare Geschäfte bestimmten Offenlegungspflichten unterworfen hat; ein Handelsverbot sieht diese Verfügung ausdrücklich nicht vor. Am 3.5.10 legte das BMF den ersten Diskussionsentwurf für ein Gesetz vor, mit dem gesetzliche Transparenzvorschriften für gedeckte Leerverkaufspositionen generell eingeführt und ungedeckte Leerverkäufe verboten werden sollten. Der am Dienstag vorgelegte Diskussionsentwurf des BMF geht nun am weitesten: Er greift fast alle der genannten Gebote und Verbote auf und will zusätzlich auch bestimmte Währungsderivate untersagen, die sich auf den Euro beziehen. Heftige Kritik hat vor allem der Umstand hervorgerufen, dass das Verbot der BaFin und die Pläne des BMF international nicht abgestimmt sind. Zwar fußen die Ansätze teilweise auf den Vorschlägen des Committee of European Securities Regulators (CESR) für ein gesamteuropäisches Transparenzsystem für Leerverkaufspositionen, an denen auch die BaFin maßgeblich beteiligt war. Mit den jetzigen Plänen gehen jedoch BaFin und Ministerium im Alleingang über die auf europäischer Ebene erarbeiteten Empfehlungen hinaus.

Ausblick

Die Verbote dokumentieren klar das Ziel, den Kapitalmarkt vor unerwünschten Auswüchsen von Spekulationen zu bewahren. Der Diskussionsentwurf des Gesetzes, das aller Voraussicht nach in den nächsten Monaten verabschiedet wird, enthält viele sinnvolle Ansätze. Doch muss im Interesse der Marktteilnehmer eine möglichst einheitliche Regulierung für Leerverkäufe auf gesamteuropäischer Ebene angestrebt werden. Je nachdem wie die anderen Staaten die CESR-Empfehlungen umsetzen werden, ist deshalb insbesondere zu entscheiden, ob tatsächlich ein generelles gesetzliches Verbot für ungedeckte Leerverkäufe erforderlich ist – oder ob die Möglichkeit der BaFin, bei Anzeichen von Missständen flexibel auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren und ungedeckte Leerverkäufe in Einzelwerten oder generell zu untersagen, ausreicht.

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