Was passiert bei einer Bankenpleite in einem EU-Land, Herr Steck?
Herr Steck, wie funktioniert der SRM genau, und ist ein Fall wie Credit Suisse damit ausgeschlossen?
Banken werden in einer Krisensituation eng durch die Aufsichtsbehörden, in Deutschland die BaFin bzw. EZB, beobachtet und begleitet. Sofern Maßnahmen zur Sanierung und damit einhergehende „early intervention measures“ der Aufsichtsbehörden nicht den gewünschten Erfolg zeigen, prüfen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden, ob die Bank nunmehr wahrscheinlich insolvenzgefährdet ist („likely to fail“). Hierbei wird auch berücksichtigt, ob nicht andere, nicht im Einflussbereich der Bank stehende Maßnahmen geeignet sind, die Gefahr zu beseitigen, wie etwa das Einstehen von Einlagen- und Institutssicherungssystemen. Auch der Staat kann ein Eigeninteresse an der Rettung von Kreditinstituten haben und gegebenenfalls einspringen. Der Spielraum hierfür ist aber aufgrund Europäischer Beihilferegelungen begrenzt.
Wird nach alledem festgestellt, dass die Bank konkret insolvenzgefährdet ist, können die Abwicklungsbehörden den Abwicklungsfall anordnen und bestimmte Maßnahmen erlassen. Dies wird immer dann geschehen, wenn ein Insolvenzverfahren erhebliche negative Folgen für die Allgemeinheit hätte, wie zum Beispiel Auswirkungen auf die Finanzstabilität oder die Gefährdung kritischer Funktionen. Hierbei gibt die BRRD, also die EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten, einen Katalog an möglichen Maßnahmen vor. So gibt es Instrumente, die erkannte Kapitallücken schließen lassen. Ein Beispiel ist der „Bail in“, bei dem Gläubiger nach Maßgabe ihrer potentiellen Stellung in der Insolvenz bereits vorinsolvenzrechtlich in Anspruch genommen werden.
Zielt das Handeln darauf ab, nicht die ganze Bank zu retten, sondern nur schützenswerte und systemrelevante Geschäftsbereiche (wie z.B. das Retail-Einlagengeschäft oder systemrelevante Zahlungsverkehrsfunktionen), kommt eine Übertragung auf ein sogenanntes Brückeninstitut in Betracht. Auch Übertragungen auf andere Institute sind möglich. Allerdings muss für eine Anteilsübertragung beispielsweise auf ein anderes Institut der Wert der übertragenen Anteile festgestellt und ausgeglichen werden. Ebenfalls ist ein diskriminierungsfreies Vermarktungsverfahren durchzuführen. Dieser Weg wurde in Einzelfällen bereits vollzogen, so z.B. bei Banco Popular.
Einen anderen Weg ist die Schweiz gegangen, indem sie kurzfristig Regelungen erließ: Demnach ist es Individualparteien erlaubt, in bestimmten Krisensituationen Übernahmen wirksam zu vereinbaren, ohne normalerweise geltende wesentliche gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen, wie die Zustimmungen der Generalversammlungen der jeweiligen Institute, zu erfüllen. Ob man sich hierdurch jedoch sämtlicher Bewertungsthemen entledigen konnte, werden Gerichte entscheiden müssen.
Bis 2022 haben die EU-Banken knapp 80 Mrd. Euro im Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund, SRF) angespart. Reicht das, oder muss man für 2023 mit einer höheren Bankenabgabe rechnen?
Die Banken sind seit der Finanzkrise 2008 deutlich besser kapitalisiert, was die grundsätzliche Anfälligkeit der Institute hinsichtlich Kapitallücken erheblich reduziert. Was wir derzeit vielmehr sehen, sind Gefährdungen auf der Liquiditätsseite. Die Silicon Valley Bank hat diese, vereinfacht gesagt, durch eine fristeninkongruente Refinanzierung verursacht. Bei der Credit Suisse ist sie ungeachtet dessen durch mangelndes Vertrauen in das Geschäftsmodell – gepaart mit im Markt herrschenden generellen Zweifeln an der Stabilität des Finanzsektors – entstanden. Die schnelle Wechselbereitschaft der Einleger tat ihr Übriges dazu.
Sofern betroffene Banken bilanziell gesund sind, geht es also eher darum, diese „über Wasser“ zu halten. Die Maßnahmen des SRF sind in der Tat auch hierauf ausgerichtet, z.B. in Form von Einlagengarantien oder durch Ankäufe von Vermögensgegenständen zur Liquiditätsgenerierung. Die Dotierung des SRF ist europarechtlich festgelegt. So orientiert sich das Zielvolumen des Fonds an der Summe der gedeckten Einlagen und soll hiervon 1% betragen. Bislang gibt es keine Abweichungen.
Wie unterscheidet sich der SRM von den Regularien zur Bankenabwicklung in Großbritannien und in den USA?
Die Regularien in Großbritannien orientieren sich auch nach vollzogenem Brexit weitestgehend an den Regelungen der BRRD. Diese wurden jüngst bei der Tochter der Silicon Valley Bank im Vereinigten Königreich eingesetzt. Zunächst war eine „modified insolvency“, also ein interessenwahrendes Herunterfahren der Bilanz im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, vorgesehen. Doch schließlich wurde aufgrund der Infizierungsrisiken für den Gesamtbankenmarkt entschieden, die Anteile der Bank nach einem beschleunigt durchgeführten Bieterprozess auf die HSBC zu übertragen.
In den USA wird zwischen Instituten, die gesicherte Einlagen entgegennehmen, klassischen Wertpapierhandelshäusern (Broker/Dealern) und sonstigen Finanzinstituten unterschieden. Bei Kreditinstituten, die geschützte Einlagen entgegennehmen, hat die Einlagensicherung (FDIC) die Abwicklungshoheit. Sie kann unterschiedliche Maßnahmen erlassen, die dazu geeignet sind, die geschützten Einlagen zu sichern. Ihr steht ein weites Instrumentarium zur Verfügung, wie etwa der Einsatz von Brückeninstituten. Grundsätzlich hat die Einlagensicherung geeignete Maßnahmen zu treffen, die die geringsten Kosten für den Einlagensicherungsfonds verursachen. Sofern ein Krisenfall jedoch systemische Risiken auslösen kann, kann die Einlagensicherung zusammen mit dem Federal Reserve Board und dem Treasury Department auch weitergehende Maßnahmen treffen. Dies ist bei der Silicon Valley Bank und der Signature Bank geschehen, indem sämtliche Einlagen ungeachtet von Sicherungsgrenzen garantiert wurden. np
Über den Interviewpartner:
Andreas Steck ist Regional Managing Partner Europe bei Linklaters in Frankfurt. Er ist spezialisiert auf Bankaufsichtsrecht einschließlich strukturierte Finanzierungen und strukturierte Produkte, Investmentrecht und Versicherungsaufsichtsrecht.