Clawbacks – Wenn der Bonus wieder weg ist
Die Boni werden also erst einmal ausgesetzt, auch wenn inzwischen schon wieder von Halteprämien für besonders wichtige Mitarbeiter die Rede ist. Eine Grundlage zur Rückforderung vergangener Boni gibt es im Fall Credit Suisse wohl ohnehin nicht. In der EU hingegen würde nun ein Instrument greifen, das nach der Finanzkrise 2008 eingeführt wurde: die Institutsvergütungsverordnung (IVV), nach der als „Risikoträger“ identifizierte Mitarbeiter in allen Kreditinstituten mit mehr als 15 Mrd. Euro Bilanzsumme Beschränkungen bei der variablen Vergütung unterliegen.
Theoretisch ja, aber…
Alle variablen Gehaltsbestandteile zusammen dürfen nicht mehr als das doppelte Festgehalt wert sein, müssen anteilig für mehrere Jahre zurückbehalten und abhängig vom Erfolg oder Misserfolg des Instituts auch wieder herunterkorrigiert werden, ggf. auch per Rückforderung („Clawback“). Bei Pflichtverletzungen oder Verhalten, das „zu erheblichen Verlusten, einer wesentlichen regulatorischen Sanktion oder einer wesentlichen aufsichtlichen Maßnahme“ führt, muss die Bank sogar den kompletten Bonus zurückholen.
Jedenfalls theoretisch. In der Praxis habe sich die seit 2017 geltende aktuelle IVV „im Großen und Ganzen bewährt“, meint Till Heimann, Partner bei der Arbeitsrechtskanzlei Kliemt. Allerdings auch deshalb, weil es bisher selten bis nie zu wirklich einschneidenden Rückforderungen gekommen sein dürfte. „Die wenigsten Institute wollen ihren Leuten ans Geld, wenn nicht wirklich gravierendes individuelles Fehlverhalten vorliegt. Der Markt für gute Führungskräfte ist begrenzt, und man sieht sich immer zweimal im Leben“, so Heimann.
Selbstblockierende Rückforderungen
Dieser Zielkonflikt scheint in der Tat dazu zu führen, dass Clawbacks meist an einer Art Selbstblockade scheitern. In der Öffentlichkeit verhandelt werden versuchte oder erfolgreiche Rückforderungen ohnehin nicht. Wenn einmal ein Fall vor Gericht geht, endet die Sache üblicherweise mit einem Vergleich, wie vor einer Weile fernab des Bankensektors, als Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn knapp 12 Mio. Euro an seinen Ex-Arbeitgeber zurückzahlte.
Anders als in diesem Fall werden die meisten Einigungen aber nie publik. Diese Zurückhaltung hat einerseits damit zu tun, dass die Unternehmen sich schon die Forderung gut überlegen. „Meistens sind Rückforderungsklauseln als Kann-Vorschriften festgehalten – ‚Die Gesellschaft ist berechtigt…‘ oder ähnlich“, erklärt Philipp Byers, derzeit noch Partner bei Watson Farley & Williams, der zum Mai mit mehreren Arbeitsrechtskollegen zu Dentons wechselt.
Nebenwirkungen bei der Rekrutierung
Für Compliance-Clawbacks, die bei Fehlverhalten greifen sollen, gilt das noch in verschärfter Form. „Die entsprechenden Klauseln sind oft wachsweich formuliert, ihre Wirksamkeit gelinde gesagt fraglich“, meint Byers. Die Schwierigkeit: Die entsprechenden Regelungen müssen im Einklang mit den AGB stehen und dürfen keine ungerechtfertigte Benachteiligung darstellen. „Dafür bräuchte es glasklare, transparente Regelungen, die man einem gerade rekrutierten Mitarbeiter aber eher ungern seitenlang in seinen neuen Arbeitsvertrag schreibt“, so Byers.
Wären Clawback-Klauseln präzise genug formuliert, wäre eine Rückforderung dabei wohl durchaus gerichtsfest. Wegen der Abschreckungswirkung auf Neueinstellungen, erklärt Kliemt-Partner Heimann, blieben die Klauseln aber meist recht allgemein – „oft beschränkt auf einen Verweis auf die Regelungen des Kreditwesengesetzes und der IVV, was die Durchsetzbarkeit naturgemäß stark einschränkt“.
Ein Stück Kulturwandel
Die faktische Bedeutung der Rückforderungsklauseln liegt darum wohl anderswo. Zum einen dürften viele Banken und andere Unternehmen entsprechende Regelungen als Puffer für Konfliktsituationen nutzen, als Verhandlungsmasse etwa bei einer streitigen Kündigung und einem daran anschließenden Disput um Abfindungszahlungen oder andere Ansprüche. Zum anderen bedeutet schon das Vorhandensein einer solchen Klausel, und sei sie noch so schmächtig, ein kleines Stück Kulturwandel. So schmerzfrei, die theoretische Möglichkeit einer Bonus-Rückzahlung komplett zu ignorieren, werden im Zweifelsfall nur die wenigsten „Risk Taker“ sein.
Schwieriger noch als bei Vorständen oder Geschäftsführern ist die Position der Arbeitgeber allerdings bei (leitenden) Angestellten, die schon länger dabei sind und nun als Risikoträger identifiziert wurden. „Im Rahmen bestehender Arbeitsverhältnisse sind neue Rückforderungsklauseln nicht so einfach durchsetzbar. Wenn der Arbeitnehmer seinen Vertrag nicht ändern will, hat der Arbeitgeber dagegen im Regelfall keine Handhabe – keine Kündigung, auch keine Änderungskündigung“, erläutert Byers. Solange der Gesetzgeber nicht vorschreibt, dass Risikoträger-Positionen nur mit Mitarbeitern besetzt werden dürfen, die Clawback-Klauseln zugestimmt haben, sind die Optionen des Unternehmens begrenzt.
Sollte ein Fall vor Gericht gehen, sähe es ähnlich aus. Für Angestellte sind schließlich die Arbeitsgerichte zuständig, die sich auf eine Vielzahl von höchstinstanzlichen Urteilen stützen. Was etwa bei Bonusrückforderungen zu bestimmten Stichtagen gilt, wurde vom Bundesarbeitsgericht für die diversesten Konstellationen genau festgelegt. Wesentlich mehr Spielraum bzw. Unsicherheit gibt es bei den Zivilgerichten, wo Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und deren Vertretungsorganen verhandelt werden. „Es kann also durchaus sein, dass Vorstände und Geschäftsführer eher zu einer Rückzahlung verurteilt werden als leitende Angestellte“, resümiert Byers.
Reprise für Wertpapierinstitute
Diese etwas unbefriedigende Situation könnte bald neben Kreditinstituten noch weitere Firmen treffen. Auf „mittlere Wertpapierinstitute“ zielt eine neue Vergütungsverordnung mit dem schönen Kürzel WpIVergV, die seit Beginn der BaFin-Konsultation im Herbst 2022 allerdings als Provisorium über der Branche schwebt. Wann die endgültige Fassung kommt, weiß momentan niemand; dass sie kommt, kann aber als gesichert gelten.
Malus- und Rückforderungsregeln würden damit auch diese Institute betreffen. „Für die Mitarbeitergewinnung bedeutet das definitiv einen Nachteil“, berichtet Kliemt-Anwalt Heimann. Momentan behelfe man sich meistens damit, auf die geltenden Vergütungsregeln des Wertpapierinstitutsgesetzes und auf besagten BaFin-Entwurf zu verweisen. Wie relevant Rückforderungen in diesem Marktsegment realiter wären, steht aber ohnehin in den Sternen. np