Ruhe vor dem Sturm bei Unternehmensinsolvenzen
Deutlich stärker als im Vorjahr war lt. IWH-„Insolvenztrend“ im Mai nur die Industrie betroffen, gerade was Arbeitsplätze angeht: Die größten 10% der Pleite-Unternehmen rissen 8 400 Jobs mit sich, doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum.
Creditreform sieht indes schon strukturelle Veränderungen im Insolvenzgeschehen. Die Studie belegt u.a. eine hohe Zahl an Pleiten von (ehemals) Selbstständigen. Die staatlichen Finanzhilfen haben hier offenbar nur wenig Entlastung gebracht. Prominente Beispiele für größere Insolvenzen im bisherigen Jahresverlauf sind die MV-Werften sowie die Modekette Orsay. Einen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen verzeichnen vor allem das verarbeitende Gewerbe (+14,9%) und die Bauwirtschaft (+19,4%).
Dass sich die wirtschaftlichen Folgen von Corona und Ukraine-Krieg auch in den Insolvenzstatistiken stärker niederschlagen würden, schien eigentlich zwangsläufig. Materialisiert hat sich diese Entwicklung bisher trotzdem nicht. Rainer Eckert, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein, geht davon aus, dass bislang stattdessen die Folgen der Krisenbewältigung überwiegen, wenn auch anders als beabsichtigt. „Die Erleichterung bzw. Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wurde während der Pandemie recht unübersichtlich gehandhabt, was dazu geführt haben dürfte, dass manche diese Pflicht nicht mehr ganz ernst nehmen“, erläutert er. Wie auch die IWH-Forscher betonen, bilden die aktuellen Zahlen die Auswirkungen des russischen Angriffs in der Ukraine mit allen daraus folgenden Kosten- und Lieferkettenproblemen noch nicht ab, ebenso die neuerlichen Lockdowns in China.
Die Corona-Hilfen und die gelockerten Antragspflichten dürften die strukturellen Probleme der Automotive-, Maschinen- und Anlagenbaubranche allerdings nicht dauerhaft überdecken können. Insolvenzverwalter Eckert rechnet darum bald mit einem spürbaren Anstieg der Firmenpleiten: „Bei der Arbeit an den Jahresabschlüssen dürften die Wirtschaftsprüfer derzeit vielfach auf Zahlen stoßen, die nicht so tragfähig sind, wie es die Unternehmensführung gerne wahrhaben würde. Die tatsächlichen Probleme im Markt werden sich darum wohl erst in der zweiten Jahreshälfte zeigen.“ Die konjunkturellen Rahmenbedingungen haben sich durch den Krieg in Osteuropa, die Inflation und die beginnende Zinswende in jedem Fall deutlich verschlechtert.