Sammelklagen auch in Deutschland?
Die Class Action gegen Caterpillar in den USA zeigte jüngst wieder deutlich, welche Drohkulisse schon durch die bloße Anmeldung der Sammelklage erzeugt wird und wie viel Macht sowie Missbrauchspotenzial von ihr ausgehen. So hat der weltweit erfolgreiche Baumaschinenhersteller trotz Unschuldsbeteuerungen aus Furcht vor Mehrkosten einen Vergleichspool in Höhe von 60 Mio. US-Dollar bereitgestellt, um jegliche Forderungen bezüglich unerwarteter Totalausfälle von verbauten Dieselmotoren zu erledigen.
Was macht die Class Action zu einer potenziellen Bedrohung für Unternehmen?
Das Maß an Unsicherheit: Die Anzahl der potenziellen Kläger ist meist unüberschaubar und die Kosten eines Prozesses können bedrohliche Ausmaße erreichen. Sie sind auch dann nicht von der Gegenseite zu erstatten, wenn die Klage nicht erfolgreich war. Hinzu kommt ein völlig unberechenbarer Ausgang auf Grund des Geschworenenverfahrens.
Gibt es Class Actions in Deutschland?
Sammelklagen wie in den USA kennt das hiesige Verfahrensrecht nicht. Sie sind unter anderem mit dem im deutschen Zivilprozessrecht herrschenden Prinzip der Unzulässigkeit von Popularklagen unvereinbar, also Klagen, die jedermann erheben kann, ohne selbst unmittelbar betroffen zu sein. Gleiches gilt für die Dispositionsmaxime, wonach grundsätzlich die Parteien Verfügungsfreiheit über den Prozess bzw. den Streitgegenstand haben. Das Modell der Class Action würde in das Recht des Geschädigten eingreifen, selbst zu entscheiden, ob und in welcher Art und Weise er einen Schaden gerichtlich geltend macht (Eingriff in das Verfassungsrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit). Die Bindung von in keiner Weise am Prozess Beteiligten, wie bei Class Actions üblich, stellt einen Verstoß gegen das verfassungsmäßig verbriefte Recht auf rechtliches Gehör dar.
Äquivalente sind aber beispielsweise die Möglichkeit einer Verbandsklage zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen im Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrecht sowie die der Führung eines Verfahrens im Rahmen des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes. Die Bindungswirkung der tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen im Musterverfahren beschränkt sich auf anhängige Verfahren. Eine Rechtskraft-erstreckung auf Nichtparteien, die für Class Actions charakteristisch ist, findet nicht statt. Alle Kläger, deren Verfahren durch Beschluss bis zur Beendigung des Musterverfahrens ausgesetzt sind, haben dort die Rechtstellung eines Beigeladenen. Als solche sind sie berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen und alle Prozesshandlungen vorzunehmen, soweit diese nicht mit den Erklärungen und Handlungen des Musterklägers im Widerspruch stehen.
Sind weitere Gesetzesinitiativen geplant?
Die Empfehlung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2013 (2013/396/EU) legt es den Mitgliedsstaaten nahe, den Rechtsrahmen für Sammelklagen zu schaffen. Das Musterklagegesetz für Verbraucher, welches Verbraucherschutzverbänden die Möglichkeit eröffnen soll, für eine Vielzahl von Betroffenen Musterklagen führen zu können, ist allerdings beim Wirtschaftsministerium bisher auf Widerstand gestoßen; eine Einigung vor der Bundestagswahl im September 2017 erscheint unwahrscheinlich.
Welche Charakteristika sollen europäische Ansätze für Sammelklagen enthalten?
Der Anwendungsbereich soll möglichst weit sein. Beispielhaft werden Verbraucherschutz, Wettbewerb, Umweltschutz, Schutz personenbezogener Daten, Finanzdienstleistungen und Anlegerschutz genannt. Vertretungsbefugt sollen ausschließlich Behörden und Vertreterorganisationen nach festgelegten Kriterien sein. Diese sind: die Gemeinnützigkeit der Organisation, ein direkter Zusammenhang des durch EU-Recht geschützten Klagegegenstandes mit den wichtigsten Zielen der Organisation sowie ausreichende finanzielle, personelle und juristische Kapazitäten, um eine große Anzahl an Personen und ihre Interessen vertreten zu können. Im Grundsatz soll ein opt-in-Verfahren gelten. Opt-out-Verfahren sollen im Gegensatz zu dem US-Verfahren nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen können. Gemeint sind Verfahren, bei denen Ansprüche aller Betroffenen generell erledigt werden, gleich, ob sie von ihnen tatsächlich wissen oder nicht, sofern sie nicht ausdrücklich als Mitglied aus der Gruppe der Class Action ausscheiden.
Welche Kriterien gilt es zu vermeiden?
Um einen Missbrauch der Sammelklage zu vermeiden, sollen folgende Elemente ausgeschlossen sein, wie man sie im US-Prozess vorfindet: Strafschadensersatz, ausforschende vorprozessuale Beweissammlung (sog. pre-trial discovery) und ein Geschworenengericht. Aber auch Erfolgshonorare für Anwälte, wie es oft bei den contingency fees in den USA der Fall ist.
Wann sind Updates zu erwarten?
Eine Bewertung der Richtlinie durch die Europäische Kommission soll bis Ende Juli 2017 erfolgen.