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Europarecht – Der neue Fahrplan für Beihilfen

Seit Herbst 2008 haben die EU-Mitgliedstaaten staatliche Beihilfen in bisher nicht gekanntem Ausmaß genehmigt. Kommissar Joaquin Almunia prüft nun, ob die Sonderregelungen, die grundsätzlich bis Ende 2010 befristet sind, verlängert werden. Andreas Haak und Michael Brüggemann, Experten für Beihilfe- und Vergaberecht bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing, erläutern die geltenden Spielregeln, geplante Veränderungen und den aktuellen Beihilfekurs der Kommission.

Der neue für die Beihilfepolitik zuständige EU-Wettbewerbskommisar Joaquin Almunia hat eine verantwortungsvolle Aufgabe übernommen. Seit Herbst 2008 haben die EU-Mitgliedsstaaten sowohl die Realwirtschaft als auch den Finanzsektor mit staatlichen Beihilfen in bisher nicht gekanntem Ausmaß gestützt. Die genehmigten Maßnahmen der Mitgliedsstaaten vom 1.10.08 bis Ende März dieses Jahres hatten ein abrufbares Höchstvolumen von insgesamt 4 131 Mrd. Euro. Das entspricht mehr als 30% des Bruttoinlandsprodukts der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Allein im Finanzsektor umfassen die genehmigten Maßnahmen bisher 40 Bankenstützungen und 37 Programme in 21 Mitgliedsstaaten.

Die neue Kommission unter Führung des Spaniers Almunia prüft nun, ob die Sonderregelungen, die grundsätzlich bis Ende 2010 befristet sind, über diesen Zeitpunkt hinaus verlängert werden. Gemäß den Europäischen Verträgen (Art. 107 ff. AEUV) sind staatliche Beihilfen, die zu einer Verfälschung des Wettbewerbs und einer Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels führen, grundsätzlich verboten und nur in eng umrissenen Ausnahmefällen zulässig. Politische Beobachter halten die Verlängerung der Sonderregelungen für nicht unwahrscheinlich. Insbesondere Frankreich macht sich für eine Verlängerung stark. Almunia hat sich hierzu noch nicht klar geäußert. Ungeachtet dessen hat die Kommission bereits mit der Annäherung der Verzinsung an Marktkonditionen die Bedingungen für staatliche Garantien ab Juni 2010 verschärft und damit den ersten Schritt zurück zur „Normalität“ gemacht.

Prüfverfahren für Landesbanken

In den Genuss von Beihilfen in Deutschland kamen Landesbanken wie die WestLB, die HSH Nordbank, BayernLB, LBBW sowie weitere öffentliche Banken. Die frühere Wettbewerbs-Kommissarin Neelie Kroes hatte die Beihilfen für die Landesbanken nur unter strengen Auflagen – u. a. Verkauf von Beteiligungen, Aufgabe von Geschäftseinheiten und Standorten, Verringerung der Bilanzsumme – genehmigt, um so die durch die Beihilfen bewirkten Wettbewerbsverzerrungen auszugleichen. Almunia hat bereits angedeutet, den restriktiven Kurs gegenüber den Landesbanken fortzusetzen. Derzeit laufen noch Prüfverfahren zu verschiedenen erweiterten Rettungspaketen und Stützungsmaßnahmen. Noch vor der Sommerpause ist mit weiteren Entscheidungen zu rechnen.

Vereinfachte Regeln für Unternehmen

Auch für von der Wirtschaftskrise betroffene Unternehmen der Realwirtschaft hat die EU-Kommission mit dem sog. Temporary Framework eine gesonderte Rechtsgrundlage erlassen. Auf dieser Grundlage können die Mitgliedstaaten z. B. zu erleichterten Bedingungen subventionierte Kredite vergeben, Kreditbürgschaften mit günstigeren Prämien übernehmen, höhere Risikokapitalbeihilfen für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) gewähren und direkte Zuwendungen bis zu 500 000 Euro zahlen, ohne dass sie Beihilfen für einzelne Unternehmen anmelden müssen. Alle Maßnahmen gelten zunächst nur bis Ende 2010 und unterliegen bestimmten Auflagen. Eine Verlängerung gilt allerdings als wahrscheinlich.

Neuer Schwerpunkt Clean-Tech

Die Kommission hat außerdem angekündigt, nach Beendigung der Sonderbeihilfen im Zuge der Finanzkrise den Fokus auf Zukunftsindustrien und KMU zu richten. Mit der im März 2010 vom Rat verabschiedeten Strategie „Europa 2020“ sollen v. a. erneuerbare Energien sowie Clean-Tech-Unternehmen gefördert werden. Ebenso wird erwartet, dass Almunia die begonnene Reform des Beihilfeverfahrensrecht mit dem Ziel einer Vereinfachung und Beschleunigung fortsetzen und bestehende beihilferechtliche Instrumente – z. B. die Anordnung der Beihilferückzahlung – verstärkt nutzen wird. Zudem hat Almunia erklärt, dass er bestehende Ungleichheiten der Mitgliedsstaaten bei den Beihilferegelungen vereinheitlichen will.

Entscheidung nach 20 Arbeitstagen

Mit dem „Aktionsplan Staatliche Beihilfen“ hat die Kommission eine Reihe von Vereinfachungen des Beihilfeverfahrensrechts eingeführt. Neu ist u. a. das sog. vereinfachte Verfahren, bei dem sich die Kommission „nach besten Kräften“ bemüht, innerhalb von 20 Arbeitstagen nach der Anmeldung (Notifizierung) der Beihilfemaßnahme eine Entscheidung zu erlassen. Für das vereinfachte Verfahren kommen Beihilfen in Betracht, über die auf der Grundlage von bestehenden Gemeinschaftsrahmen, Leitlinien oder einer gefestigten Entscheidungspraxis der Kommission entschieden werden kann. Im Fall des vereinfachten Verfahrens wird die Anmeldung in einer Zusammenfassung im Internet veröffentlicht; Betroffene (z. B. Wettbewerber des Beihilfeempfängers) haben innerhalb von zehn Arbeitstagen nach der Veröffentlichung Gelegenheit zur Stellungnahme.

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