Spannende Debatte im Vorfeld der BetrAVG-Novelle
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Die Tarifparteien sollen sogar „reine Beitragszusagen““ vereinbaren können, bei denen der Arbeitgeber lediglich einen fest definierten Aufwand für die bAV der begünstigten Mitarbeiter leistet. Darüber hinaus soll er für keinerlei weiteren Zahlungspflichten einstehen müssen. Das Motto lautet kurz: „Pay and Forget““. Voraussetzung für diese absolute Kosten- und Haftungslimitierung soll jedoch sein, dass die bAV über eine gemeinsame, d. h. paritätisch mitbestimmte Einrichtung der Tarifvertragsparteien durchgeführt wird.
Großer Reformdruck
Es wundert nicht, dass die Bundesregierung einen derart stark von den bisherigen Gepflogenheiten abweichenden Vorschlag vorlegt. Denn sie hat ein sehr großes Problem zu lösen. Schließlich wurden mit der „Riester-Reform““ 2002 deutliche Senkungen der Leistungen bei der gesetzlichen Rente beschlossen. Und damals wurde der bAV die Aufgabe zugewiesen, zusammen mit der zuschussgeförderten privaten „Riester-Rente““ die zu erwartenden Versorgungslücken auszugleichen. Die Hoffnung war, dass auf diesem Wege insgesamt das künftige Versorgungsniveau stabil gehalten werden könne. Leider aber verbreiten sich weder „Riester-Rente““ noch bAV so schnell, dass dies auch tatsächlich gelingt. Im Gegenteil: Die Entwicklung stagniert. Es besteht die Gefahr, dass künftig vor allem Bezieher niedrigerer Einkommen im Alter unzureichend versorgt sein werden. Der Gesetzgeber muss dringend Gegenmaßnahmen ergreifen, um den befürchteten starken Anstieg von Altersarmut ab etwa 2035 abzuwenden. Immerhin sind derzeit noch über 40% der etwa 28 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, also rund 11 Mio. Erwerbstätige, ohne bAV.
Lösung für das Kardinalproblem der bAV
Die Beitragszusagen könnten das Kernproblem der bAV lösen: ihre völlig Kostenunsicherheit. Betriebswirtschaftlich ist die bAV in ihrer heutigen Form für jedes Unternehmen brandgefährlich. Sie bewirkt häufig völlig unerwartete, beträchtliche Belastungen. Etwa enorme Nachreservierungen bei den Pensionsrückstellungen als Folge des Niedrigzinses, Haftung für Versorgungskassen, die ihre Leistungen herabsetzen, Anpassung laufender Leistungen, Rekordbeiträge für den Pensions-Sicherungsverein wie z. B. nach der Arcandor Großinsolvenz – und künftig vielleicht die Insolvenz eines Lebensversicherers? All diese Probleme wären mit der Beitragszusage auf einen Schlag beseitigt. Außerdem favorisiert das BMAS mit Recht große Kollektive, die ganz anders als etwa herkömmliche Versicherungen großzügige Invaliditäts- oder Todesfallabsicherungen ermöglichen und zwar ohne Rücksicht auf individuelle Vorerkrankungen. Leider werden derzeit in der Fachwelt mit einem unguten Fleiß Argumente dafür gesucht, weshalb der Vorschlag des BMAS abzulehnen sei. Und es werden schwere Argumente genannt. So ist zu lesen, dass Arbeitgeber unsolidarisch seien, wenn sie sich nicht dazu bereit erklären, Versorgungszusagen zu erteilen, für deren Erfüllung sie dann ohne jedwede betragliche Begrenzung einstehen. Oder es ist von einer heraufziehenden „Zwei-Klassen bAV““ die Rede. Schließlich erfährt man, dass eine bAV, bei der der Arbeitgeber „nur““ einen Beitrag verspräche, überhaupt wertlos sei. Und dann wird auch noch angekündigt, dass durch die Reform eine Abwärtsspirale der bAV einsetzen würde. Wo diese Spirale enden würde, wird zwar nicht weiter ausgeführt. Aber der entsetzte Leser fürchtet um den Untergang des Abendlandes.
„Mut zur Zukunft!““
Diese bekannte Aufforderung von Helmut Schmidt war zwar nicht ursprünglich an die bAV gerichtet, passt aber auch für sie. Der kühne Vorschlag des BMAS könnte Millionen von Menschen eine bAV verschaffen. Und auch wenn diese anders aussähe als heute, so dürfte doch klar sein, dass jede bAV besser ist als das was wir heute erleben: nämlich überhaupt keine bAV für fast die Hälfte aller Beschäftigten. Die Bildung großer Versichertenkollektive, wie sie im Rahmen der tariflichen Modelle unweigerlich entstünden, könnten bei minimalen Kosten völlig neue, bahnbrechende Absicherungen für die Beschäftigten schaffen. Und die oft dramatischen Schicksale in Fällen von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder für Familien bei Tod eines Elternteils würden endlich gelöst.
Die Sterne stehen gut für eine kühne Reform
Derzeit gibt es einen breiten Konsens quer über fast alle Parteien hinweg zugunsten der bAV und der ihr seit 2002 zugedachten Rolle. Diese günstige Konstellation sollte für eine mutige Reform genutzt werden. Denn sollte sie scheitern, wird die Alternative möglicherweise nicht auf die bAV setzen. Die Alternative wäre möglicherweise ein Zwangssystem, vielleicht ein „Obligatorium““, ähnlich wie in der Schweiz.
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