Exklusiv-Interview

„Die EU muss entscheiden, ob sie das als historische Chance begreift“

Im PLATOW-Interview äußert sich Jörg Kukies über die Zollkrise, Risiken für den globalen Status des Dollar und dazu, wo die EU als Finanzplatz unabhängiger werden muss.

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© Bundesministerium der Finanzen

Herr Kukies, an den Märkten gibt es eine Achterbahnfahrt, seit US-Präsident Trump massive Zölle angekündigt hat. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass die Probleme auf andere Akteure am Finanzmarkt übergreifen und eine Abwärtsspirale entsteht?

Wir müssen die deutlichen Marktbewegungen genau analysieren und ernst nehmen. Für systemische Risiken gibt es derzeit keine Anzeichen, aber natürlich müssen wir wachsam sein. Die Märkte spiegeln die handelspolitischen Entwicklungen wider, sie reagieren daher rational.

Also sind Sie entspannt?

Man muss natürlich wachsam sein. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Außerdem ist die Volatilität sehr hoch. Die Märkte reagieren direkt auf jede Äußerung von Donald Trump, so wie gestern Abend nach der Ankündigung einer Zollpause von 90 Tagen.

In der Finanzkrise 2008 gab es eine enge globale Zusammenarbeit. Wäre das heute überhaupt noch denkbar?

Daran habe ich keinen Zweifel, sollten wir in eine solche Lage geraten. Man muss aber alles in Perspektive setzen: Wir sind nicht in einem Szenario, das mit der globalen Finanzmarktkrise vergleichbar wäre, auch wenn ich die Marktreaktionen nicht kleinreden will.

Aber die Schäden der Zölle sind doch beträchtlich. Droht nicht eine Rezession?

Zölle schaden allen, sie schwächen Wachstum und erhöhen die Inflation – weltweit, auch in den USA. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts würden die deutschen Exporte in die USA um rund 15 Prozent sinken, wenn die US-Regierung bei den verhängten Zöllen bleibt. Darin sind aber keine Zweitrundenreaktionen enthalten.

Sie meinen mögliche Gegenzölle, wie sie China verhängen will, oder mögliche Währungsabwertungen?

Das sind alles Faktoren, die man bedenken muss. Der Effekt könnte natürlich deutlicher werden, wenn der Konflikt mit China weiter eskaliert. Die gestrige Ankündigung von Donald Trump, China mit noch höheren Zöllen zu belegen, macht eine Lösung des Konflikts natürlich nicht wahrscheinlicher.

Sie haben in der vergangenen Woche ihren US-Amtskollegen Scott Bessent besucht. Wie schätzen Sie die künftige amerikanische Zollpolitik ein?

Die Grundeinstellung zu Zöllen ist eine ganz andere als unsere. Aus Sicht der neuen amerikanischen Regierung sind Zölle grundsätzlich positiv. Diese Haltung gab es schon in der vorherigen Trump-Regierung, aber viel moderater. Alle Gesprächspartner haben aber auch gesagt: Die angekündigten Zölle sind der Anfang einer Verhandlung und nicht das Ende.

Manche Experten sehen nun die Stellung des Dollars als Leitwährung gefährdet. Teilen Sie diese Einschätzung?

Die USA haben betont, dass der Dollar weltweite Reservewährung bleiben soll. Wir sehen keine Anzeichen, dass sie das infrage stellen. Allerdings gibt es historisch einen engen Zusammenhang zwischen dem Handel in einer Währung und ihrer Verwendung als Reservewährung. Wenn eine Region wesentlich weniger mit dem Rest der Welt handeln will, indem sie zum Beispiel hohe Zölle erhebt, fällt es ihr natürlich schwerer, den Status als Reservewährung aufrechtzuerhalten.

Es gibt aber keinen Ersatz für den Dollar.

Die EU muss sich entscheiden, ob sie die aktuelle Situation als historische Chance begreift, um wichtige Projekte wie Bankenunion, Kapitalmarktunion mit einem einheitlichen Verbriefungsmarkt und andere Initiativen umzusetzen. Der Euro ist die zweitwichtigste Währung der Welt, hat aber einen hohen Rückstand zum Dollar, was etwa die Fakturierung von Handel und Finanzströmen angeht. Wenn es bei den genannten Projekten Fortschritte gibt, wäre das positiv für die Konkurrenzfähigkeit Europas und damit für die Rolle des Euro in der Welt.

Was muss aus ihrer Sicht bei der Kapitalmarktunion passieren?

Wir brauchen eine Entlastung von Bürokratievorschriften. Hier ist der Anfang gemacht mit der Verschiebung der CSRD-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und dem Omnibus-Paket, das bestimmte EU-Richtlinien und Verordnungen vereinfacht. Außerdem brauchen wir einen größeren Verbriefungsmarkt. Europa hängt hier weit zurück. Man könnte viel mehr machen, wenn unser regulatorischer Rahmen wettbewerbsfähig mit den USA wäre. EU-weite  Insolvenzregeln und eine effiziente Finanzaufsicht sind weitere wichtige Themen.

Bei der Bankenunion ist das Streitthema die Einlagensicherung. Wie bewerten Sie hier den Verhandlungsstand?

Wir verhandeln als ersten Schritt das wichtige CMDI-Paket zur Stärkung des Bankenabwicklungsrahmens. Hier ist noch viel Arbeit zu tun. EU-Kommission und Europaparlament sind bisher nicht ausreichend auf die sehr durchdachte und ausbalancierte Position des Europäischen Rates eingegangen. Durch das CMDI-Paket müssen wir die Solidität des europäischen Bankensystems absichern. Ein Aufweichen lehnen wir nachdrücklich ab.

Woran machen Sie das fest?

Es kursieren Ideen, dass wir deutlich mehr Mittel der nationalen Einlagensicherung nutzen sollten, um Banken abzuwickeln. Dann kommen wir wieder zum Problem, dass nicht die Eigentümer und Gläubiger einer Banken im Krisenfall den Hauptbeitrag schultern, sondern die Einleger anderer Banken. Das ließe die wichtigste Lehre aus der Finanzkrise von 2008 außer Acht und darf nicht sein. Wir können nicht Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren. Außerdem stellen Kommission und Parlament elementare Bestandteile unseres Bankensystems infrage, insbesondere die Institutssicherungssysteme, die für Sparkassen und Volksbanken essenziell sind. Diese bewährten nationalen Systeme mit hoher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung müssen wir erhalten.

Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte mal als Zielmarke für eine EU-Einlagensicherung Ende 2026 genannt. Halten Sie das für realistisch?

Leider gibt es aus Kommission und Europaparlament bisher keine ausreichende Bereitschaft, die politische Realität in den Mitgliedstaaten wie Deutschland und anderen Ländern zu respektieren. Die Mitgliedstaaten haben sich in der Eurogruppe einstimmig auf eine klare Sequenz zur Bankenunion verständigt: Zunächst wird der Bankenabwicklungsrahmen gestärkt, daran arbeiten wir derzeit. Erst wenn das abgeschlossen ist, werden die Mitgliedstaaten mögliche weitere Maßnahmen erörtern und im Konsens über das weitere Vorgehen entscheiden. Dabei spielt der freie Transfer von Kapital und Liquidität innerhalb der EU sowie eine weitere Reduktion von Risiken in Bankbilanzen eine ebenso wichtige Rolle wie die Einlagensicherung. Aber nochmal: Wir sollten den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun und jetzt unseren Fokus auf die laufenden Arbeiten zum Bankenabwicklungsrahmen richten, da könnten wir auf Basis des breit unterstützten Ratsvorschlags schnell zu einer Einigung im Trilogverfahren kommen.

In den USA zeichnet sich eine Lockerung der Kapitalanforderungen für Banken ab. Wie sollte die EU reagieren?

Ich rate dazu, genau zu beobachten, was andere große Finanzmärkte machen, bevor wir immer weiter regulieren. Wir dürfen zwar nicht in einen Deregulierungswettbewerb eintreten, was Bankkapital angeht. Die EU muss sich aber Gedanken machen, ob wir zum Beispiel bei den Kapitalanforderungen für den Handel mit Aktien und Anleihen jetzt noch mal eine Schippe drauflegen.

Sie wollen also die Regeln von Basel III beibehalten, die schon implementiert sind, aber alles was dazukommen soll, infrage stellen?

Das könnte eine Lösung sein.

Was ist aus Ihrer Sicht noch nötig, um den Finanzplatz zu stärken?

Viele Dinge – ein Beispiel: wir müssen dringend die betriebliche und die private Altersvorsorge stärken. Davon würden künftige Rentnerinnen und Rentner profitieren, aber auch der deutsche  Kapitalmarkt.

Zwei zentrale Projekte der aktuellen Regierung dazu, das Generationenkapital und das Altersvorsorgedepot, sind liegen geblieben. Sind die jetzt vom Tisch?

Auch der Koalitionsvertrag sieht vor, dass kapitalbasierte Sicherungssysteme gestärkt werden, sowohl in der 2. als auch der 3. Säule. Durch die Einführung der kapitalbasierten Frühstart-Rente soll zusätzlich bereits früh im Leben ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot angelegt werden. Sowohl zur betrieblichen als auch privaten Altersvorsorge gibt es ja schon Vorschläge. Es wird sicher noch Modifikationen geben, die in der Umsetzung des Koalitionsvertrags verhandelt werden. Ich kann nur sagen: kapitalgedeckte Altersvorsorge ist absolut essenziell, auch im Sinne einer Stärkung des Finanzplatzes.

Stichwort Koalitionsverhandlungen. Ihnen wird hoher Arbeitseifer nachgesagt. Wo wollen Sie weiter Akzente setzen?

Personalentscheidungen werden immer am Ende einer Koalitionsverhandlung getroffen. Es ist es noch zu früh, jetzt darüber zu sprechen.

Herr Kukies, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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