Bundesrechnungshof zerpflückt zentrales Bundesbank-Bauprojekt
Ein bisher unveröffentlichtes Gutachten, das PLATOW exklusiv vorliegt, nennt erstmals Kostenschätzungen zum Campus-Projekt. Die Prüfer bezifferten diese nach den Plänen Ende 2022 auf 4,6 Mrd. Euro.

Der Bundesrechnungshof (BRH) rechnet in zwei bisher nicht veröffentlichten Gutachten scharf mit einem zentralen Projekt der Bundesbank ab. Die Stellungnahmen des BRH vom 12. April 2024 durchleuchten den geplanten Umbau und die Sanierung der Bundesbank-Zentrale in Frankfurt. Sie stammen aus einer Schwerpunktprüfung und liegen PLATOW exklusiv vor.
Die Berichte enthalten erstmals offizielle Kostenschätzungen – dazu äußerte sich die Bundesbank bisher nie. Sie verdeutlichen die gewaltigen finanziellen Dimensionen: „Nach den [ursprünglichen] Plänen der Bundesbank sollten nach dem Abbruch mehrerer Bestandsgebäude auf dem Campus für rund 3,59 Mrd. Euro vier Bürogebäude, eine neue Kindertagesstätte (Kita), ein neues Sportzentrum, ein Gastronomiepavillon sowie ein Logistikzentrum entstehen“, heißt es dort. Der BRH passte diese Zahl von Anfang 2021 anhand des Baukostenindex an und errechnete für Ende 2022 Kosten von rund 4,6 Mrd. Euro. „Das entspricht für einen Büroarbeitsplatz 1,02 Mio. Euro“, stellen die Prüfer nüchtern fest. Ihr Fazit: „Die Bundesbank hat einen Kostenrahmen ermittelt, der weit über das Übliche hinaus geht.“ Die Prüfer kritisieren überdimensionierte Ausstattung, zu großzügig geplante Büroflächen und das Fehlen einer fundierten Wirtschaftlichkeitsuntersuchung.
Vom Campus-Traum zum Problemfall
Eine Bundesbank-Sprecherin erklärte dazu, die in den BRH-Berichten erwähnte Hochrechnung basiere auf veralteten Planungen. Man habe das Projekt inzwischen stark angepasst: „Das ursprüngliche Projekt Campus ist passé.“ Wie im Mai 2024 angekündigt, werde es keine Büroneubauten geben. Man habe den Flächenbedarf sowie die Zahl der Arbeitsplätze deutlich reduziert und die „Kostenschraube drastisch nach unten gedreht“. Die Bundesbank wertet die Kritik des BRH als Bestätigung für die Kehrtwende. Außerdem erklärt sie, dass sie entsprechend der Empfehlung des BRH aktuell eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zum aktuellen Planungsstand des Projekts Campus durchführt – inklusive sicherheitsrelevanter Aspekte.
Die BRH-Kritik bezieht sich auf die Planungen vor 2024. Ursprünglich wollte die Bundesbank ihre Mitarbeiter in Frankfurt an einem Standort zusammenfassen und diesen zum Campus ausbauen. Inzwischen ist von den ursprünglichen Plänen wenig geblieben. 2023 reduzierte sie das Projekt auf ein einziges neues Gebäude. Einen Monat nach Eingang der BRH-Gutachten bei der Bundesbank strich sie die Neubauten komplett. Übrig bleibt die Sanierung des Hauptgebäudes – ein komplexes Vorhaben. Das Gebäude enthält zahlreiche Schadstoffe und steht seit 2022 unter Denkmalschutz. Die BRH-Analyse beleuchtet die vielen Probleme des Projekts. Das wirft die Frage auf, ob es überhaupt noch sinnvoll ist oder zum Fass ohne Boden wird. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, der die Baustelle ein Jahr nach seinem Amtsantritt ab 2023 vom vorher zuständigen Vorstandsmitglied Johannes Beermann erbte, steht dabei vor schweren Entscheidungen.
Die fünf zentralen Kritikpunkte der Prüfer:
1. Zu viel Büroflächen für zu wenig Bedarf
Der BRH kritisiert, dass die Bundesbank lange mit festen Einzelbüros plante – trotz Digitalisierung und Homeoffice. Schon 2016 empfahlen Gutachter offene Arbeitsbereiche und Desksharing. Erst 2021 ließ die Bundesbank den Bedarf von einem Institut neu berechnen. Dabei kam heraus: Bei 50% Anwesenheit wären nur rund 2.575 Arbeitsplätze nötig – deutlich weniger als ursprünglich geplant. „Allein mit der konservativsten Empfehlung hätte die Bundesbank 1,341 Mrd. Euro sparen können“, heißt es im Bericht. Erst 2023 strich die Bundesbank die Neubauten weitgehend und senkte den Bürobedarf auf 2.700 Plätze – aus Sicht des BRH noch immer zu hoch.
2. Unnötige Extras trieben die Kosten
Als weiteren Kritikpunkt nennt der BRH überhöhte bauliche und technische Standards. Der erste Entwurf umfasste ein Sportzentrum, Gastronomie, Gästeappartements und ein unterirdisches Erschließungssystem. „Der Bundesrechnungshof führt die hohen Kostenansätze sowohl für die Neubauten als auch für die Neuausrichtung des Campus auf den ungewöhnlich hohen Ausbaustandard sowie auf das geplante unterirdische Erschließungssystem zurück“, heißt es. Die Bundesbank müsse zwar besondere Sicherheitsanforderungen erfüllen, es sei aber zu bezweifeln, „dass die hohen Kosten und der damit verbundene hohe Standard in allen Teilen gerechtfertigt sind.“
Ein Beispiel: Die geplante neue Kita mit 230 Plätzen sollte ursprünglich 96 Mio. Euro kosten – das entspricht 418.000 Euro pro Platz, bei einem bundesweiten Durchschnitt von 50.000 bis 100.000 Euro. Auch nach der Projektanpassung 2023 lagen die Kosten mit 266.000 Euro pro Platz mehr als doppelt so hoch. Der Rechnungshof bezweifelt, ob das 2014 errichtete Gebäude überhaupt sanierungsbedürftig ist, und fordert, sich an Kostenkennwerten vergleichbarer Gebäude zu orientieren.
Beim Sportzentrum hinterfragt der Rechnungshof eine mutmaßliche Annahme der Bundesbank, dass 7% der Beschäftigten „Fitnessfazilitäten“ nutzen würden. Diese sei nicht belegt. Die geplante Halle sollte nicht nur für Sportarten wie Basketball und Badminton geeignet sein, sondern auch Wettkämpfe und Personalversammlungen mit bis zu 1.000 Personen ermöglichen – inklusive einer Tribüne für 350 Zuschauer. Der Rechnungshof urteilt: „Eine Tribünenanlage ist für eine Bundesbehörde unter keinem denkbaren Gesichtspunkt notwendig und angemessen. Es gehört nicht zu den Aufgaben der Bundesbank, Wettkämpfe zu veranstalten.“
3. Veraltete Planung – zu spät reagiert
Die Bundesbank ließ laut BRH „sieben Jahre verstreichen, bis sie Erkenntnisse aus den Untersuchungen zu modernen Bürokonzepten und mobilem Arbeiten im Bedarf für den Campus umgesetzt hat.“ Auch die Erfahrungen aus der Pandemie habe sie nur zögerlich ausgewertet.
Obwohl die Bundesbank 2023 beschloss, die Bestandsgebäude zu sanieren und auf Neubauten zu verzichten, führte sie die Planungen für diese zunächst weiter. Der Rechnungshof fordert: „Die Planungen für die Neubauten sollte sie beenden und keine unnötigen Planungsleistungen mehr abrufen.“
4. Mängel in der Prüfung der Wirtschaftlichkeit
Der BRH bemängelt, dass die Bundesbank bei dem Projekt zentrale Entscheidungen traf, ohne alle wirtschaftlich sinnvollen Alternativen zu prüfen. Zwar beauftragte sie 2016 eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung – diese beschränkte sich jedoch auf die Frage, ob es sinnvoll sei, die Mitarbeiter in Frankfurt außerhalb der Zentrale auf dem Campus zusammenzuführen. Die 2.500 Mitarbeiter in der Zentrale und die Sanierung des Haupthauses blieben außen vor.
Die Prüfer kritisieren: „Die Bundesbank hat versäumt, die Deckung ihres kompletten Bedarfs in ihrer Zentrale in Frankfurt wirtschaftlich und ergebnisoffen zu untersuchen.“ Laut Bericht begründete die Bundesbank ihr Vorgehen damit, dass ein Abriss des Haupthauses nicht infrage komme – es gelte „als nationales Symbol der Stabilitätskultur.“ Der BRH entgegnet: „Es mag sein, dass das Haupthaus symbolträchtig ist.“ Doch ein solches Kriterium dürfe „nicht das allein bestimmende bei der Entscheidung über ein Vorhaben von mehreren Milliarden Euro sein“.
Der Rechnungshof bezweifelt, dass die Bundesbank überhaupt andere Varianten als den Neubau auf dem Campus ernsthaft geprüft hat. „Die Bundesbank hat die Wirtschaftlichkeit der Ein-Standort-Strategie nicht nachgewiesen,“ heißt es. Zudem habe sie ihre Wirtschaftlichkeitsuntersuchung aus dem Jahr 2016 trotz geänderter Bedarfsplanung und viel höherer Kosten nicht fortgeführt. Der Rechnungshof stellt fest: „Die Bundesbank hätte die Wirtschaftlichkeit ihrer gewählten Variante hinterfragen und neu bewerten müssen.“
5. Ausufernde Kosten
Nach dem Amtsantritt von Joachim Nagel reduzierte die Bundesbank ihre Campus-Pläne 2023 deutlich – nur noch ein neues Bürogebäude, eine kleinere Mehrzweckhalle, Sanierung statt Neubau der Kita. Der BRH kritisiert jedoch, dass die Kosten hoch blieben. Auch der überarbeitete Entwurf lag bei etwa 3,27 Mrd. Euro.
Trotz geringerem Umfang blieben zentrale Kostentreiber bestehen: Die Mehrzweckhalle ohne Fitnessbereich und Gastronomie sollte demnach 131,4 Mio. Euro kosten – nur 1,5 Mio. Euro weniger als das ursprünglich geplante Sportzentrum. Das Logistikzentrum verteuerte sich sogar auf 168,5 Mio. Euro.
Der Rechnungshof sah darin ein Missverhältnis zwischen reduziertem Bedarf und unverändert hohem Aufwand – und forderte eine Planung, die sich am tatsächlichen Bedarf und marktüblichen Standards orientiert. Hierauf reagierte die Bundesbank 2024, indem sie erklärte, auf Neubauten und den Campus komplett zu verzichten.
Fazit
Die BRH-Gutachten zeigen erhebliche Missstände in der ursprünglichen Bauplanung. Natürlich ist ein Vergleich mit privatwirtschaftlichen Vorhaben schwer, denn es gibt Sonderfaktoren, die das Bauvorhaben der Bundesbank erschweren. Zum Beispiel lagert unter der Zentrale einer der größten Goldschätze der Welt, was hohe Sicherheitsstandards erfordert. Im Hauptgebäude sind unzählige Giftstoffe verbaut und die hessische Behörde stellte das Hauptgebäude nach Darstellung mancher „aus heiterem Himmel“ 2022 unter Denkmalschutz.
Richtig ist aber auch: Es gab früh Warnzeichen. Intern sorgten etwa Personalentscheidungen für Kopfschütteln. Vom ersten Leiter des Bauprojekts trennte sich die Bundesbank bereits nach wenigen Wochen. Auch danach wechselten die Zuständigkeiten. Für Aufsehen sorgte die Berufung des früheren Vizechefs des Bundesnachrichtendienstes (BND), Guido Müller, zum Leiter des neuen Zentralbereichs Bau. Müller verantwortete beim BND den Umzug der Zentrale vom bayerischen Pullach nach Berlin. Auch dort kritisierten Beobachter ausufernde Kosten. Der bis Ende 2022 für das Bauprojekt zuständige Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann bügelte 2017 noch Journalistenfragen zu möglichen Kosten des Projekts mit der Bemerkung ab: „Wir bauen hier keine Elbphilharmonie.“ Bundesbank-Präsident Nagel muss man zugutehalten, dass er relativ schnell nach seinem Amtsantritt die Verantwortung für das Projekt übernommen und die Brisanz erkannt hat. Er steht nach der Wirtschaftlichkeitsanalyse vor einer schweren Abwägung, wie es mit dem Projekt weitergehen soll. Dabei bleibt ihm nur die Wahl zwischen mehreren schlechten Optionen.