Zentralbanken

Lagarde-Nachfolge – Warum Zurückhaltung jetzt Trumpf ist

Vier Schlüsselrollen bei der EZB stehen zur Disposition – und der Machtpoker hat längst begonnen. Worauf es dabei ankommt und wer sich in Position bringt.

Jan Mallien,
EZB-Chefin Christine Lagarde
EZB-Chefin Christine Lagarde © Maria Rita Quitadamo/ECB

Radrennfahrer wissen: Wer zu früh an die Spitze fährt, wird oft abgehängt. Im Windschatten bleiben, Kraft sparen und im richtigen Moment angreifen – das ist entscheidend. Auch im Rennen um die Nachfolge von EZB-Präsidentin Christine Lagarde, deren Amtszeit im Oktober 2027 endet, geht es nicht darum, als Erster sichtbar zu sein.

Komplizierter Machtpoker

Die Personaldebatte beginnt früh – nämlich mit der Besetzung des nächsten EZB-Vizepräsidenten, die im Mai 2026 ansteht. Dieser Posten gilt traditionell als Fingerzeig für die Präsidentschaft. Die Logik: Wer Vize wird, schließt damit Kandidaten aus ähnlichen Regionen oder mit gleichem Profil für den Chefsessel aus – etwa zwei Südeuropäer oder zwei Vertreter kleiner Länder gelten als unwahrscheinlich.

Doch ganz so einfach ist der Machtpoker nicht, wie sich mehrfach gezeigt hat. Deutschland unterstützte in der Vergangenheit etwa den Portugiesen Vítor Constâncio und später den Spanier Luis de Guindos als EZB-Vizepräsidenten, in der Hoffnung, den früheren Bundesbank-Präsidenten Axel Weber und Jens Weidmann den Weg an die EZB-Spitze zu ebnen. Beide scheiterten. Das Problem: Wer seinen Namen zu früh ins Spiel bringt, könnte verbrennen.

So wundert es nicht, dass sich auch die Bewerber für den EZB-Vizeposten lange zurückhielten, obwohl der Posten schon im Mai 2026 frei wird und der Nominierungsprozess lange im Voraus startet. Offiziell hat bisher nur der finnische Notenbankchef Olli Rehn sein Interesse an dem Posten bekundet. Andere schickten Vertrauensleute vor. Der lettische Finanzminister Aleksis Jarockis ließ via „Bloomberg“ ausrichten, dass sein Land einen Sitz im EZB-Direktorium anstrebt, das die Geschäfte der Notenbank führt. Auch der kroatische Notenbankchef Boris Vujčić und sein portugiesischer Amtskollege Mário Centeno sollen Ambitionen signalisiert haben. Als mögliche Kandidatinnen gelten auch die Vizepräsidentin der portugiesischen Notenbank, Clara Raposo, und ihre griechische Amtskollegin, Christina Papaconstantinou.

Wer nicht Vize wird, könnte Chefvolkswirt werden

Die Vielzahl der gehandelten Bewerber hängt auch damit zusammen, dass neben dem Vize- und dem Präsidentenposten noch zwei weitere Positionen im EZB-Führungsgremium frei werden. 2027 laufen auch die Amtszeiten von Chefvolkswirt Philip Lane aus Irland und Isabel Schnabel aus Deutschland aus. Wer bei der Vizepräsidentschaft nicht zum Zuge kommt, könnte Chefvolkswirt werden. Auch Lane hatte sich vor acht Jahren zunächst für die Vizepräsidentschaft beworben.

Die Besetzung des Vizepostens und des Postens des Chefvolkswirts ist Teil eines taktischen Spiels, das mit der Lagarde-Nachfolge seinen Höhepunkt erreicht. Aktuell werden vor allem der langjährige niederländische Notenbankchef Klaas Knot und der spanische Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Pablo Hernández de Cos, als Anwärter für den Posten gehandelt. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel gilt eher als Außenseiter, was nichts heißen muss. Mit Ursula von der Leyen an der Spitze der Kommission und Claudia Buch als Chefin der EZB-Bankenaufsicht sind aber bereits zwei EU-Schlüsselposten mit Deutschen besetzt.

In der Vergangenheit war die Favoritenrolle im Rennen um die EZB-Präsidentschaft eine Bürde, wie das Beispiel Jens Weidmann zeigt. Im Februar 2018 galt der damalige Bundesbank-Präsident als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi. In einer „Bloomberg“-Umfrage unter Volkswirten lag er mit 84 von 100 möglichen Punkten weit vorne. Er lieferte sich ein Duell mit dem französischen Notenbankchef François Villeroy de Galhau, der mit weitem Abstand dahinter folgte. Doch letztendlich kamen beide nicht zum Zug. Stattdessen sicherte sich die damalige IWF-Chefin Christine Lagarde den Top-Posten – leise, aber wirkungsvoll.

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