Lagardes Luftnummer

In ihrer Pressekonferenz vergangene Woche ließ EZB-Präsidentin Christine Lagarde Beobachter an einer Stelle besonders aufhorchen. Die EZB werde am Freitag kommender Woche eine neue Studie veröffentlichen. „Sie können sich darauf freuen“, sagte sie an das Publikum gerichtet. Es werde dann viel Gelegenheit geben, sich noch mal intensiv mit dem neutralen Zins zu befassen, also dem Zinsniveau, das die Wirtschaft weder stützt noch bremst. In der Fachwelt wird der neutrale Zins ungefähr so intensiv diskutiert wie anderswo die Frage, ob man gendern soll oder nicht.
Lagarde hatte hohe Erwartungen geweckt. Doch die Studie selbst liefert wenig neue Erkenntnisse. Die Ökonomen der Commerzbank bedachten sie mit dem Kommentar: „Viel Lärm um Nichts.“ Tatsächlich relativiert das Papier die Bedeutung des neutralen Zinses sogar. Die EZB-Ökonomen schätzen ihn auf einen Wert zwischen 1,75 und 2,25 %, so wie Lagarde bereits verraten hatte. Aktuell liegt der entscheidende Einlagenzins bei 2,75%.
Allerdings warnen die Forscher davor, sich zu sehr auf dieses Konzept zu verlassen. Der neutrale Zins sei ein theoretischer Wert und keine verlässliche Grundlage für die Geldpolitik. „Bei der Umsetzung der Geldpolitik gibt es keine Alternative dazu, Entscheidungen auf der Basis einer umfassenden Analyse der Daten und ihrer makroökonomischen Auswirkungen zu treffen“, heißt es. Einige EZB-Offizielle warnten gleichzeitig vor einem zu starken Fokus auf den neutralen Zins.
So betonte der finnische Notenbankchef Olli Rehn ggü. der „FT“, dass die EZB die Zinsen auch unter den neutralen Zins senken könnte. Es sei wichtig die eigene Handlungsfähigkeit nicht wegen eines theoretischen Konzepts einzuschränken. Auch Chefvolkswirt Philip Lane warnte davor, sich zu stark auf ihn zu konzentrieren, da er im Verlauf des Zinssenkungszyklus an Bedeutung verliere.