Schnabel oder Nagel? Was Deutschlands EZB-Hoffnungen eint – und trennt
Die eine prägt Debatten, der andere zeigt diplomatisches Geschick. Was die beiden deutschen Anwärter für die Lagarde-Nachfolge auszeichnet – und wie ihre Chancen stehen.

Isabel Schnabel redet, wenn andere zögern. Mit ihrer typischen Direktheit hat die 54-jährige EZB-Direktorin die Debatte über die Nachfolge von Christine Lagarde befeuert – und sich selbst als Kandidatin ins Spiel gebracht. In einem Bloomberg-Interview antwortete sie auf die Frage, ob sie als erste Deutsche EZB-Präsidentin werden könnte: „Wenn man mich fragt, stehe ich bereit.“
Diese ungewöhnliche Selbstbewerbung rückt das deutsche Tableau im Rennen um die EZB-Spitze in den Fokus, auch wenn es viele Kandidaten in Europa gibt. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel wirbt laut Berichten in Berlin ebenfalls um Unterstützung für seine Kandidatur. Damit stehen mindestens zwei deutsche Anwärter für den Spitzenposten bereit. Die Profile von Schnabel und Nagel unterscheiden sich deutlich – und stehen sich in Stärken und Schwächen nahezu spiegelbildlich gegenüber.
Schnabel punktet mit Direktheit und großem Ansehen in der Fachwelt. Die meisten Ökonomen in der EZB und auch außerhalb loben ihre analytische Tiefe. Sie stößt immer wieder Debatten an, etwa über die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen von Anleihekäufen oder die Frage, wie restriktiv die Geldpolitik sein muss. Anders als EZB-Präsidentin Lagarde geht Schnabel dabei oft voran, auch auf die Gefahr hin, andere vor den Kopf zu stoßen. Ihr Fachwissen als frühere Professorin für Finanzökonomie in Bonn verschafft ihr dabei Autorität.
Schnabels Direktheit ist Stärke und Schwäche zugleich
Ihre Direktheit ist zugleich ihre größte Stärke und Schwäche. Dass die in Dortmund aufgewachsene Ökonomin sich nicht lange mit diplomatischen Floskeln aufhält, zeigt nicht nur ihre Selbstbewerbung. Ein kleines Beispiel von vielen: Wenige Monate bevor sie für das EZB-Führungsgremium vorgeschlagen wurde, sagte sie über ihre spätere Chefin Christine Lagarde: „Es ist bemerkenswert, dass eine Juristin Chefin der Notenbank werden kann, während niemand auf die Idee käme, dass eine Ökonomin ein oberstes Gericht leiten könnte.“
Nachhaltig schadete ihr auch ein Auftritt im ZDF-„heute-journal“ im November 2021. Damals beschwichtigte Schnabel die Inflationsgefahren – zu einem Zeitpunkt, als sich die damalige Inflationswelle bereits aufbaute. Auch wenn sie später zu den ersten zählte, die vor Inflationsrisiken warnten, wirkt dieser Auftritt bis heute nach. In Teilen der deutschen Öffentlichkeit gilt sie als Verfechterin einer lockeren Geldpolitik. Dieses Image erschwert es ihr, politische Unterstützer zu gewinnen – obwohl es im EZB-Rat kaum jemanden gibt, der so konsequent für eine straffe Geldpolitik eintritt wie sie.
Nagel muss sein fachliches Profil schärfen
Nagels Ausgangslage ist umgekehrt. Er gilt öffentlich als Verfechter einer straffen Geldpolitik. Als er zum Bundesbank-Präsidenten ernannt wurde, begründeten FDP-Vertreter ihre Unterstützung für ihn mit seinem angeblich ordnungspolitischen Profil. Tatsächlich ist Nagel – ähnlich wie Schnabel – kein Prinzipienreiter. Als langjähriger Bundesbank-Vorstand für den Bereich Märkte kennt er die geldpolitischen Instrumente aus der Praxis und beurteilt sie vor allem nach ihrer Wirkung auf die Finanzmärkte. Anders als Schnabel agiert Nagel relativ diplomatisch. Auf die Frage nach Ambitionen auf den EZB-Chefposten, verwies er darauf, dass alle Ratsmitglieder für den Posten qualifiziert wären.
Die Botschaft ist klar, aber bewusst unscharf formuliert. Durch diese Zurückhaltung, die Nagel auch in geldpolitischen Debatten zeigt, vermeidet er Reibung, aber auch Profil. Geldpolitisch legt sich Nagel, ähnlich wie Christine Lagarde, wenn überhaupt erst spät fest. Zumindest hinter vorgehaltener Hand bemängeln einige Ökonomen angeblich fehlende analytische Tiefe bei ihm. Nagel muss daher solche Zweifler überzeugen.
Warum ganz andere gewinnen könnten
Ob am Ende einer der beiden Christine Lagarde nachfolgt, ist offen. Bisher gab es noch nie einen deutschen EZB-Präsidenten – was dafür spricht. Doch ist Deutschland mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bereits sehr stark auf europäischen Schlüsselposten vertreten. Zudem ist fraglich, ob Bundeskanzler Friedrich Merz bereit wäre, für den Posten einen entsprechenden Preis zu zahlen. Sollte Nagel tatsächlich EZB-Präsident werden, wäre auch eine Rochade denkbar: Nagel könnte Lagarde als EZB-Präsident beerben – und Schnabel seinen Posten bei der Bundesbank übernehmen.