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Sind viele Aufsichtsräte deutscher Unternehmen falsch besetzt, weil im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer bei der Festlegung des Mitbestimmungsregimes mitzählen? Ein Beschluss des Landgerichts (LG) Frankfurt am Main vom 16.2.2015 (Az.: 3-16 O 1/14) birgt Sprengkraft für deutsche Unternehmen mit grenzüberschreitenden Strukturen. Die Richter hatten in einem Statusverfahren über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Deutsche Börse AG zu entscheiden. Die Deutsche Börse AG ist herrschendes Unternehmen der Gruppe Deutsche Börse mit insgesamt rund 3 800 Arbeitnehmern, davon über die Hälfte im Ausland. Der Aufsichtsrat der Deutsche Börse AG ist nach den Vorschriften des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG) zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt.
Nach Ansicht des LG ist der Aufsichtsrat nicht richtig zusammengesetzt. Er müsse nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) paritätisch besetzt sein und aus je sechs Anteilseigner-und Arbeitnehmervertretern bestehen. Der Schwellenwert des MitbestG von 2 000 Arbeitnehmern sei – trotz der Beschäftigung von weniger als 2 000 Arbeitnehmern in Deutschland – erreicht, da die Arbeitnehmer von im Ausland ansässigen Konzernunternehmen miteinzubeziehen seien.
„Die Entscheidung steht im Widerspruch zur ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur““, sagen Andreas Josupeit und Christoph von Eiff, Rechtsanwälte im Düsseldorfer Büro von CMS Hasche Sigle. Zwar gab es in jüngster Zeit vereinzelt Stimmen, die die Beschränkung des Wahlrechts auf inländische Arbeitnehmer als mit europäischem Recht unvereinbar ansehen. „Das LG hat sich mit der Europarechtskonformität des deutschen Mitbestimmungsrechts jedoch nicht näher auseinandergesetzt, sondern eine Stufe früher angesetzt: Es stellt darauf ab, dass der Wortlaut des MitbestG und auch des DrittelbG an keiner Stelle im Ausland Beschäftigte von der Mitbestimmung ausnehme““, so Josupeit und von Eiff. „Damit richtet sich das Gericht im Kern gegen das allgemein anerkannte Territorialitätsprinzip. Die Entscheidung ist daher abzulehnen.““ Gleichwohl wird die Entscheidung für Verunsicherung sorgen. Würde sie Bestand haben, wären viele Aufsichtsräte – insbesondere personalstarker mittelständischer deutscher Unternehmen mit grenzüberschreitenden Konzernstrukturen – nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt bzw. müsste ein solcher erstmalig errichtet werden. Auch ein „Einfrieren““ des tatsächlich gelebten Mitbestimmungsstatuts durch Umwandlung in eine SE könnte im Einzelfall gefährdet sein, da sich das Mitbestimmungsstatut allein nach der Rechtslage und nicht etwa nach der gelebten Praxis richtet. „Als praxistaugliche Alternative dürfte insbesondere die Umwandlung in eine KGaA vermehrt in Betracht kommen, deren zunehmende Beliebtheit auch auf mitbestimmungsrechtlichen Privilegien beruht““, schlussfolgern die CMS-Anwälte.
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