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Wie ein Vorstand und ein Top-Geheimdienstler die Bundesbank ins Bau-Fiasko stürzten

Die Bundesbank plante Großes – und verlor die Kontrolle über den Bau ihrer Zentrale. Insider schildern Probleme, die lange niemand hören wollte. Ein Report.

Jan Mallien,
Johannes Beermann, Bundesbank-Vorstand von 2015 bis Dezember 2022
Johannes Beermann, Bundesbank-Vorstand von 2015 bis Dezember 2022 © Deutsche Bundesbank

Wer groß baut, muss viel rechnen – sollte man meinen. Doch als Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann die Pläne für die Sanierung der Zentrale vorstellt, die die Bundesbank Anfang 2016 ankündigte, setzt er andere Prioritäten: Er redet über Schadstoffe im Beton, den Goldschatz der Bundesbank und die Ästhetik des brutalistischen Baustils. Aber über eines spricht er nicht: übers Geld. Einziger Hinweis: „Wir bauen hier keine Elbphilharmonie.“ Viereinhalb Jahre nach der Ankündigung schlägt Beermann auf einer Pressekonferenz im Deutschen Architekturmuseum größere Töne an: Er bezeichnet das Vorhaben als „Bau-Megaprojekt“, nennt es „in der Dimension relativ einmalig in Deutschland“. Und er bedankt sich bei den versammelten Journalisten, dass sie die Frage nach den Finanzen erst als zweites gestellt haben. „Darüber zu spekulieren, würde sie beschäftigen, aber uns keinen Nutzen bringen. Das kann man seriös nicht machen. Das haben wir auch noch nicht.“

Top-Geheimdienstler übernimmt das Projekt

Laut Beteiligten gab Beermann früh die Linie vor: keine Zahlen nennen – weder intern noch extern. Öffentliche Bauten würden ohnehin teurer als geplant. Also besser gar nicht beziffern. Beermann ließ einen Fragenkatalog von PLATOW zu den Vorwürfen unter Berufung auf die Schweigepflicht unbeantwortet. Nach Angaben der Bundesbank legte sie erst im Mai 2022 eine erste Kostenschätzung für das Projekt vor, sechseinhalb Jahre nach Ankündigung. Sie begründet dies mit Unsicherheiten etwa durch Corona, den russischen Angriffskrieg und den Denkmalschutz. Erst wenn es belastbare Planungsergebnisse gebe, sollten Zahlen genannt werden.

Dazu passt, dass Beermann 2018 einen Mann an die Spitze des Projekts setzte, der sich mit Verschwiegenheit auskennt: den früheren BND-Vizechef Guido Müller, für den die Bundesbank die Fragen von PLATOW teilweise beantwortete. Schon beim Geheimdienst galt Müller als umstritten – laut Spiegel führte er dort mit autoritärem Stil, ging ruppig mit Kritikern um und fiel durch auffällig hohe Spesenabrechnungen auf. Als Zentralbereichsleiter Bau direkt unter dem Vorstand sollte Müller gemeinsam mit Beermann eines der größten Hochbauprojekte Deutschlands stemmen: Die Notenbank plante, ihren Frankfurter Hauptsitz in einen Campus mit Bürogebäuden, Sportzentrum, Gastronomie-Pavillon und Kita zu verwandeln.

Rechnungshof beziffert Kosten 2022 auf 4,6 Mrd. Euro

Heute ist klar: Die Pläne sind gescheitert – die Kosten liefen aus dem Ruder. Fast zehn Jahre lang schwieg die Bundesbank zu den Kosten des Projekts. Erst als PLATOW im August einen zuvor geheimen Bericht des Bundesrechnungshofs veröffentlichte, wurde das Ausmaß des Bau-Fiaskos sichtbar: Die Prüfer bezifferten die möglichen Kosten Ende 2022 auf 4,6 Mrd. Euro. Die Bundesbank hat große Teile des Projekts bereits gestrichen – und stellt es nun komplett infrage. Bereits jetzt kostete das Vorhaben nach ihren Angaben 171 Mio. Euro. Wieviel davon in sinnlose Planung, Beratung und Projektaufträge floss, lässt sich laut Bundesbank nicht genau beziffern. Absehbar ist: Der potenzielle Schaden für die Steuerzahler geht in hohe Millionenhöhen – mindestens. Wie konnte es so weit kommen?

PLATOW hat mit zahlreichen Beteiligten gesprochen. Sie zeichnen ein klares Bild: Geheimhaltung als Prinzip, repressiver Führungsstil und mögliche Interessenkonflikte. Dazu ein Umfeld, in dem Warnungen über Jahre ignoriert wurden und Beermann und Müller weitgehend ungestört tun und lassen konnten, was sie wollten. Die geschilderten Missstände werfen die Frage auf, ob die Struktur der Bundesbank anfällig für Machtmissbrauch und Fehler ist. Besonders auffällig sind folgende Probleme:

1. Geheimhaltung als Prinzip

Mehrere Beteiligte berichten übereinstimmend: Beermann und Müller setzten von Anfang an darauf, keine Kosten zu nennen. Wer mit Beteiligten spricht, hört immer wieder, dass das Projekt eher wie eine Geheimdienstoperation geführt wurde. „Es durften niemals Kosten genannt werden aus Angst, dass etwas nach außen dringt,“ sagt ein Insider. Dies sei immer verhindert worden, sogar gegenüber dem Vorstand. Die Vorgabe habe eine sinnvolle Projektplanung unmöglich gemacht. Dabei gilt im Bau: Planer müssen früh Ziele für Kosten, Zeit und Qualitäten festlegen. Alle drei Größen hängen eng zusammen und müssen in der Planung ständig gegeneinander abgewogen werden. Ein Projekt kann zum Beispiel schneller abgeschlossen werden, wenn das Budget erhöht oder der Umfang verkleinert wird. Wer eine Größe ignoriert, bringt das Projekt aus dem Gleichgewicht.

„Wir haben das Geld nicht nur, wir drucken es sogar“

Die Richtlinie für Bundesbauprojekte (RBBau) verlangt daher, dass die Kosten möglichst früh und genau genannt werden. Die Planer müssen schon mit der initialen Projektunterlage ein vorläufiges Projektkostenziel festlegen. Die Bundesbank muss die RBBau nicht offiziell anwenden, hat sich aber intern verpflichtet, die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Als Jurist kannte Beermann die Spielräume, die sich boten. Wer Projektentscheidungen wirtschaftlich treffen will, muss aber die Kosten kennen. Beteiligte hatten den Eindruck, dass dies für Beermann keine große Bedeutung hatte. So soll er gegenüber mehreren Gesprächspartnern gesagt haben: „Wir haben das Geld nicht nur, wir drucken es sogar.“ Ein Kostenziel für das Projekt definierte die Bundesbank selbst intern lange Zeit nicht. Planungsunterlagen wurden nicht mit Kosten hinterlegt. Ohne Kostenermittlung ist eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung wertlos und auch eine Vorstandsentscheidung eigentlich undenkbar.

Offenbar kein Vorstandbeschluss zum gesamten Projekt

Einen Vorstandsbeschluss zum gesamten Projekt gibt es nach Aussagen von Insidern bis heute nicht, das Gremium habe immer nur über Einzelteile des Projektes abgestimmt. Die Bundesbank lässt auf eine entsprechende Frage von PLATOW hin offen, ob es einen Vorstandsbeschluss zum gesamten Campus-Projekt gab. Der damalige Vorstand habe sich bereits in der frühen Projektphase mit der Gesamtmaßnahme „befasst“, beispielsweise „2018 im Rahmen der Entscheidung über das städtebauliche Gesamtkonzept Campus und 2021“. Zudem seien „eine Vielzahl von Einzelentscheidungen im Rahmen der laufenden Projektprozesse getroffen“ worden. „Bereits die Vorstandsvorlage 2018 war an einem Punkt, wo man längst eine erste Abschätzung des Kostenrahmens hätte vorlegen müssen,“ sagt ein Kenner der Vorgänge. „Das Ziel war, dass der Vorstand sich für das Projekt entscheidet ohne Zahlen.“

Ungewöhnliche Machtkonzentration

Begünstigt wurde die Geheimhaltung dadurch, dass Beermann im Vorstand nicht nur für Bau, sondern auch für Controlling, Beschaffung und Verwaltung zuständig war. Er verantwortete damit nicht nur die Ausführung des größten Bauprojekt in der Geschichte der Bundesbank – sondern leitete mit dem Controlling die Abteilung, die die Kosten steuern sollte. Und nicht nur das: Sämtliche Schritte des Campus-Projekts von der Bedarfsdefinition und Bestellung über die Planung und Umsetzung bis hin zur Vergabe von Bau- und Planungsleistungen, der Verwaltung der Haushaltsmittel und dem Gebäudebetrieb lagen in seiner Hand. Normalerweise sind Aufgaben wie Bau und Controlling bei öffentlichen Bauprojekten strikt getrennt, ebenso wie die Beschaffung und die Bauausführung. Die gebündelte Macht gab Beermann Einfluss auf allen Ebenen. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundesbank-Vorstand wurde das Controlling einem anderen Dezernat zugewiesen.

Die Entscheidung, ausgerechnet den früheren BND-Vize Guido Müller mit der Leitung des Bauprojekts zu betrauen, sorgte intern für Stirnrunzeln. Müller war im Geheimdienst umstritten, die Kritik aus dem Spiegel-Artikel war bekannt – dennoch setzte die Bundesbank ihn direkt unter den Vorstand. Nach Darstellung mehrerer Bundesbanker zeigten sich aber bald schon ähnliche Probleme.

2. Repressiver Führungsstil

Mehrere Mitarbeiter, darunter auch Führungskräfte, beschreiben den Führungsstil von Beermann und Müller als repressiv und „aus der Zeit gefallen.“ Zu hören ist, dass Beermann – eine in seinem körperlichen und stimmlichen Auftreten beeindruckende Persönlichkeit – bei Besprechungen oft auf einem höheren Stuhl saß als seine Gesprächspartner. Nach den Darstellungen gingen Beermann und Müller ruppig mit Kritikern um. „Wer kritische Fragen zu den Kosten stellte, wurde rundgemacht.“ Das trug nach Darstellung Betroffener dazu bei, dass Kritik am Bauprojekt nicht nach oben drang.

In Besprechungen soll Müller regelmäßig einzelne Personen vor versammelter Runde scharf angegriffen haben – teils sehr verletzend. Auch mit Beermann habe es solche Situationen gegeben. Zudem fühlten sich Mitarbeiter von Müller bei fachlichem Austausch mit anderen Bereichen der Bank gebremst.

Gegenteil von Bundesbank-Standards

Ein Insider beschreibt den Führungsstil von Beermann und Müller als „das absolute Gegenteil dessen, was in der Bundesbank als Führungsstil empfohlen wird“. Es gebe dazu diverse Papiere, Schulungsformate und Coachings zu partnerschaftlichem Führen.

Auf unteren Ebenen soll es sehr wohl Kritik am Bauprojekt gegeben haben. Die Fachleute aus den Bereichen Bau und Controlling seien sich durchaus bewusst gewesen, dass die Bundesbank als Bundesbehörde zum Grundsatz der Sparsamkeit verpflichtet sei. Inzwischen wurde Müller nach Leipzig versetzt – als Präsident der Hauptverwaltung Sachsen und Thüringen. Um ihm die Versetzung zu ermöglichen, stattete die Bundesbank ihn mit dem Titel des Sonderbeauftragten für Sicherheit und Resilienz aus.

3. Mögliche Interessenkonflikte

Zudem wirft auch ein Seitenwechsel Fragen zu möglichen Interessenkonflikten auf. Beermann wechselte im November 2023, zehn Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Bundesbank-Vorstand, als Berater zur Gesellschaft Grand City Properties, die zu etwa 60% der Immobilienfirma Aroundtown gehört. Pikant: Aroundtown vermietet der Bundesbank das Frankfurter Büro Center (FBC), in dem sie während des Umbaus der Zentrale residiert. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom Juli 2024 erhielt Beermann damals für seine Beratertätigkeit für Grand City Properties ein Honorar von 10.000 Euro monatlich. Ein Sprecher von Aroundtown teilt dazu mit: „Wir können die Aussagen in dem Bericht der Süddeutschen Zeitung nicht bestätigen.“ Das überrascht: Eine entsprechende schriftliche Bestätigung durch die Gesellschaft Grand City Properties liegt PLATOW vor.

Zu möglichen Interessenkonflikten sagt der Aroundtown-Sprecher: „Solche Behauptungen sind in jeder Hinsicht unzutreffend und falsch.“ Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Mietvertrags für das FBC im Jahr 2017 und auch viele Jahre danach habe keinerlei Verbindung zwischen Beermann und der Aroundtown-Gruppe bestanden. Beermann sei „lange nach seinem Ausscheiden aus der Bundesbank“ zum Mitglied des Beirats der Grand City Properties ernannt worden.

Viele Probleme im FBC

Mit dem FBC, das eines der ältesten Hochhäuser Frankfurts ist, gibt es viele Probleme. Klimaanlage, Aufzüge, Wasserleitungen – immer wieder Störungen. Die Bundesbank sagt dazu: „Im FBC gibt es bauzeitbedingte Herausforderungen“. Die Technik funktioniere aber gemessen am Baualter zuverlässig. Störungen würden zeitnah behoben. Aroundtown erklärt: „Wir haben die Immobilie gemäß den Wünschen des aktuellen Mieters umfassend saniert.“

Insider beschreiben den Mietvertrag für das FBC als unvorteilhaft. Er soll sehr kurzfristig aufgesetzt und vieles im Vertrag ausgespart worden sein. Das hätte zu langwierigen Nachverhandlungen geführt, bei denen die Bundesbank in einer schlechten Verhandlungsposition gewesen sei. Demnach sei die Miete relativ hoch und die Bundesbank musste vor allem sehr hohe Sanierungskosten selbst tragen, weil das Gebäude in einem schlechten Zustand gewesen sei. Bei der Entscheidung habe sich Beermann über interne Bedenken, etwa aus dem Controlling, hinweggesetzt.

Bundesbank sucht neues Übergangsquartier

Die Bundesbank erklärt, die Miete für das FBC sei marktüblich und Ausbaukosten durch eine Einmalzahlung abgegolten worden. Für die Wahl des Ausweichquartiers habe es einen strukturierten, technisch und juristisch begleiteten Prozess gegeben. Insgesamt habe es bis heute sieben Nachträge des Mietvertrags gegeben. Zu internen Bedenken aus dem Controlling sagt die Bundesbank: „Auch in diesem Bereich wurden in der Anmietung des FBC Vor- und Nachteile gesehen.“

Inzwischen sucht die Bundesbank nach einem neuen Übergangsquartier. Auf einer Betriebsversammlung erklärte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, dass sich die Mitarbeiter perspektivisch auf einen weiteren Umzug in der Umgebung einstellen könnten.

4. Fehlende Kontrolle

Die Beispiele werfen die Frage auf: Wie konnten Beermann und Müller so lange unbehelligt agieren? Nach Einschätzung mehrerer Kenner der Bundesbank liegt die Ursache in der internen Struktur der Notenbank. „Die Governance der Bundesbank ist völlig verkorkst“, sagt ein Insider. Anders als Unternehmen oder Behörden unterliegt sie kaum interner oder externer Kontrolle. Es gibt weder einen Aufsichtsrat noch eine parlamentarische Kontrollinstanz. Diese Konstruktion soll die Unabhängigkeit der Bundesbank vor politischem Einfluss schützen. Sie führt aber dazu, dass die Vorstände freie Hand haben.

Zudem ist der Vorstand ein Kollegialorgan: Die sechs Mitglieder sind formal gleichgestellt. In der Praxis galt nach Darstellung von Insidern das ungeschriebene Gesetz: Jeder bleibt in seinem Ressort, niemand mischt sich in die Zuständigkeiten des anderen ein. Wenn ein Vorstandsmitglied wie Beermann dann noch breite Zuständigkeiten vereint – wie Bau und Controlling, zwischen denen Interessenkonflikte lauern –, steigt die Anfälligkeit für Fehler.

Gremien als Feigenblatt

Beermann schuf für das Campus-Projekt zudem zusätzliche Gremien, die die Verantwortung für das Projekt breit streuten. Im 9-köpfigen Gestaltungsbeirat saßen Fachleute aus Architektur, Wissenschaft und dem Frankfurter Planungsdezernat. Sie gaben Empfehlungen und segneten vorstandsrelevante Entscheidungen ab. Ebenso die AG Campus, die dazu gedacht war, die Nutzerinteressen einzubringen – mit Mitgliedern aus dem Personalrat und den Zentralbereichen der Bundesbank. Gremien dieser Art sind bei Großprojekten durchaus üblich. Entscheidend ist, ob sie wirklich mitgestalten können. Laut Beteiligten achteten Müller und Beermann vor allem auf einen Wohlfühlrahmen. Die Sitzungen des Gestaltungsbeirats endeten oft mit gutem Essen auf der Vorstandsetage. Kritische Fragen zum Gesamtprojekt und dessen Umfang gab es laut Teilnehmern jedoch kaum. Laut Bundesbank hatte das Gremium eine umfassende, auch kritische Beratungsfunktion. Im Jahr 2023 unter Bundesbank-Präsident Nagel sei es nicht verlängert worden.

Mehr: Bundesbank-Inside – Geschichte eines Bau-Fiaskos

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels stand, dass Beermann und Müller zusätzliche Gremien für das Campus-Projekt schufen. Richtig ist: Der Gestaltungsbeirat und die AG Campus existierten bereits, als Müller zur Bundesbank kam.

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