Wie weit wird die EZB die Zinsen noch senken?
Auch wenn die Märkte sich vom Schock der US-Zollankündigungen längst erholt haben, preisen sie noch viele Zinssenkungen in Europa ein. Was dafür spricht und welche Risiken es gibt.

Obwohl die wirtschaftliche Unsicherheit hoch ist, erwarten viele Experten derzeit eine ähnliche Zinsentwicklung in Europa. Aktuell liegt der entscheidende Einlagenzins im Euro-Raum bei 2,25%. Die Ökonomen der Deutschen Bank, von Goldman Sachs und Morgan Stanley rechnen allesamt mit drei weiteren Zinssenkungen in diesem Jahr auf dann 1,5%.
Allerdings deuten die Aussagen einiger geldpolitischer Falken, die eine straffe Geldpolitik befürworten, darauf hin, dass es durchaus zu Pausen kommen könnte, vor allem im Sommer. Denn so viele Zinssenkungen wären nur bei weiter sehr schwachen Wirtschaftsdaten denkbar.
Die Märkte geben dabei widersprüchliche Signale: Nach Ankündigung der US-Zölle im April reagierten sie zunächst sehr negativ, inzwischen aber haben sie die zwischenzeitlichen Verluste wieder ausgeglichen. Auf der anderen Seite preisen sie noch drei Zinssenkungen in Europa ein – also deutlich mehr als zu Jahresbeginn.
Einiges spricht dafür, dass sie aktuell die negativen Folgen der Zollankündigungen unterschätzen, auch wenn diese nun teilweise zurückgenommen wurden. Denn es stellt sich die Frage, ob nicht Lieferketten massiv gestört werden und sich Unternehmen wegen der Unsicherheit mit Investitionen zurückhalten. In Zeiten, in denen sich die Rahmenbedingungen innerhalb kürzester Zeit dramatisch ändern, könnten viele Unternehmen erst einmal abwarten.
Hinzu kommt: Der Euro-Kurs ist deutlich gestiegen gegenüber dem US-Dollar. Die Öl- und Energiepreise wiederum sind gefallen. Beide Phänomene dämpfen die Inflation im Euro-Raum und erhöhen den Spielraum der EZB für Zinssenkungen.
Mehr Klarheit dürfte es erst im September geben. Selten haben Notenbanken in der Geschichte die Zinsen Schritt für Schritt gesenkt, oft waren sie zu abrupten Senkungen gezwungen, weil es Krisen gab. Auch das lässt sich derzeit nicht ausschließen.