PLATOW-GESPRÄCH

„Deutschland braucht einen Neustart des Wohnungsbaus“

Viele gute Ansätze, aber keinen Politikwechsel im Wohnungsbau, sieht Alea-Chef Thomas Reimann im PLATOW-Gespräch über den Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Werner Rohmert,
Thomas Reimann, Alea-Chef und Präsident Verband baugewerblicher Unternehmer Hessen
Thomas Reimann, Alea-Chef und Präsident Verband baugewerblicher Unternehmer Hessen © Verband baugewerblicher Unternehmer Hessen

PLATOW hält sich mit politischen Statements zur Immobilien- und Bauwirtschaft zurück. Zu groß ist die Gefahr, in den Forderungsmodus vieler Verbände zu verfallen, der am Ende oft kontraproduktive Reaktionen in der Politik hervorruft. Mit Blick zurück auf die letzte Dekade waren die Forderungen der Lobbyisten in den Phasen, in denen von der Politik gefühlt die Nullzins-Ära mit Schubkarren das Geld in die Häuser der Immobilien- und Bauwirtschaft transportierte und der Markt jedes Ungeschick heilte, ziemlich genau die selben wie in den echten Krisenzeiten der Zinswende, Kostensteigerungen und gebrochener Lieferketten. Wir haben uns zur Analyse des schwarz-roten Koalitionsvertrags mit dem Familienunternehmer Thomas Reimann, der seit fast genau 40 Jahren in führender Rolle in der Bauwirtschaft aktiv ist, unterhalten. Reimann ist Vorstandschef der Alea AG und Präsident des Verbandes baugewerblicher Unternehmer Hessen.

Der gestandene Bauprofi sieht die vergangenen Jahre leicht überspitzt als „verlorene Jahre für den Wohnungsmarkt“. Schließlich habe es bis 2021 einen funktionierenden Wohnungsbau gegeben. Unklare Kommunikation und das plötzliche Auslaufen der Förderprogramme hätten ergänzend zur Zinsexplosion und Verteuerung von Materialien zu einem großen Vertrauensverlust sowie Planungsunsicherheit geführt, was den Wohnungsbau in die Knie gezwungen habe. Die Herstellungs- und Bauwerkskosten seien zwischen 2020 und 2023 extrem dynamisch um etwa 48% gestiegen. Diese Entwicklung habe sich jetzt etwas verlangsamt, dennoch sei Bauen in Deutschland durch Vorgaben und Verfahren viel zu teuer. Die Bauwirtschaft hatte die Hoffnung, dass die gesunkenen Baugenehmigungszahlen und die schwierige Situation auf dem Wohnungsmarkt das Thema politisch stärker in den Mittelpunkt rücken würden. Das seien für den sozialen Frieden in Deutschland zentrale Themen. Trotzdem sei im Wahlkampf kaum über den Wohnungsbau gesprochen worden, so Reimann.

Geduld für neue Impulse ist nicht unendlich

Auf den ersten Blick wichtig sei im Koalitionsvertrag, dass das Bauministerium weiterhin erhalten bleibe und nicht mit dem Infrastrukturministerium zusammengelegt werde. Allerdings lese sich vieles im Koalitionspapier zunächst einmal ambitioniert. Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie und „Bau-Turbo“ sind gute Ansätze, die noch zu konkretisieren sind, stellt Reimann fest. Aber einen Vertrauensvorschuss verdiene sicherlich jede neue Regierung. Jedoch sei diesmal die Geduld, auf neue Impulse zu warten, nicht unendlich. Dafür sei die Zeit viel zu ernst und die Herausforderungen zu gravierend. Der Koalitionsvertrag enthalte zwar zunächst einmal wenig Überraschendes, dennoch einige erfreuliche Signale.

Eine zentrale Forderung der Branche sei die Senkung der Baukosten durch Reduzierung von Normen, die in der Bauwirtschaft mittlerweile überhand nähmen. Die angekündigte Entbürokratisierungsoffensive könne hier helfen, so Reimann. Eine Reform des Baugesetzbuches sei in zwei Schritten vorgesehen. Der „Wohnungsbau-Turbo“, der Begriff steht so im Vertrag, sehe einen Gesetzesentwurf innerhalb der ersten 100 Tage der Amtszeit vor. Anschließend soll eine tiefergehende strukturelle Reform zur Beschleunigung des Baus in die Wege geleitet werden. Damit die an sich richtigen Maßnahmen Wirkung entfalten, müssten sie jetzt zügig, praxistauglich und möglichst unbürokratisch umgesetzt werden, so Reimann.

Mehr Flexibilität

Ein weiterer sinnvoller Vorschlag sei die Möglichkeit des Abweichens von den anerkannten Regeln der Technik wie etwa beim „Gebäudetyp E“. Das schaffe Flexibilität und könne die Baukosten senken, ohne dabei die Sicherheit oder Qualität zu gefährden. Der Gebäudetyp E sei eine Idee aus der Ampelregierung, die in der vergangenen Legislaturperiode leider zum Rohrkrepierer mutiert sei. Deshalb sei es gut, dass nachgebessert werde. Entscheidend werde allerdings sein, dass auch die Bauämter vor Ort diese neuen Möglichkeiten anwenden und nicht aus Vorsicht oder Unsicherheit an alten Maßstäben festhielten.

Das werde aber nicht reichen, um den Kostentreiber Bürokratie einzuhegen. Deshalb sei die geplante Kostenfolgenprüfung bei der Einführung neuer DIN-Normen folgerichtig. In der Praxis erlebe man, dass sich Normen immer schneller änderten. Die KfW-Förderprogramme werden in Zukunft zu zwei zentralen Programmen zusammengeführt. Dabei wird sich eins auf den Neubau und das andere auf die Modernisierung konzentrieren. Das sei gut, da die bisherige Kleinteiligkeit nicht zu den gewünschten Effekten geführt habe. Wichtiger sei aber vor allem, dass eingeführte Programme nicht ständigen Änderungen oder plötzlichen Stopps ausgesetzt würden. Nur so ließe sich bei Bauherren und Unternehmen wieder Vertrauen schaffen. Auch das serielle und modulare Bauen soll gefördert werden. Im PLATOW-Backgroundgespräch an anderer Stelle monierte auch der Vonovia-Vorstand, dass jeder seriell gefertigte Bau immer noch als Einzelkunstwerk von den Behörden behandelt würde.

Zusammenfassend sieht Reimann im Koalitionsvertrag gute Ansätze, die dazu beitragen können, Wohnungsbau schneller und kostengünstiger zu ermöglichen. Doch Papier sei nicht entscheidend. Wichtig werde sein, wie diese Ansätze handwerklich ausgestaltet und in der Praxis angewendet werden. Das müsse auch zeitnah erfolgen.

Fehlende politische Vision für die Bauwirtschaft

An Kritik bleibe aber, dass die festgeschriebenen Maßnahmen für den Wohnungsbau zwar gut seien, sie aber dennoch keinen Politikwechsel darstellten. Es fehle weiterhin eine Vision, wie mit der Bauwirtschaft umgegangen werden müsse. Es werde in der Politik wohl immer noch nicht verstanden, dass man den Mietmarkt mit vermeintlichen Korrekturen durch die Mietpreisbremse langfristig nur weiter schwäche. Die überdecke lediglich die Auswirkungen der lange verschleppten Reformen. Langfristig verschlechtere sich so die Situation für alle Beteiligten. Das gelte sowohl für Investoren, Bauherren als auch für Wohnungssuchende.

Zudem seien viele Punkte allgemein gehalten. Getrübt werde der vorliegende Koalitionsvertrag zudem durch den  Finanzierungsvorbehalt. Es müsse unbedingt verhindert werden, dass die Haushaltskämpfe der letzten Legislaturperiode sich auch in diese Amtszeit einnisten. Die neue Regierung habe vordergründig die Aufgabe, das Vertrauen der Bauwirtschaft zurückzugewinnen. Das lasse sich nicht in einem Gesetz niederschreiben. Das zeige die gelebte politische Praxis und der Umgang mit den Herausforderungen der Bauwirtschaft. Zudem müssten die Kaufnebenkosten in Deutschland gesenkt werden, so Reimann. Eine Reform der Grunderwerbsteuer sei unerlässlich.

Flickenteppich an Kompetenzen und Regularien

Im Prinzip brauche Deutschland einen Neustart des Wohnungsbaus. Dieser erfolge jedoch nicht nur durch Impulse auf Bundesebene. In Deutschland gebe es einen Flickenteppich an Kompetenzen und Regularien. Eine Harmonisierung der Landesbauordnungen würde vieles einfacher machen. Derzeit gebe es in einigen Bundesländern vielversprechende Initiativen, die Wirkungscharakter auf die anderen Regionen Deutschlands entfalten könnten. So durchlaufe das „Baupaket I“ in Hessen gerade den Gesetzgebungsprozess. In diesem Maßnahmenpaket seien erste Erleichterungen vorgesehen, die Bauen einfacher gestalten sollen. Ähnliche Vorhaben wurden auch in Niedersachsen und Hamburg eingebracht.

Deutschland müsse auch die Krise nicht alleine lösen. Es gebe auch in den Nachbarländern gute Wege. So wurde in den Niederlanden eine große Baurechtsreform durchgeführt, die zur Folge hatte, dass etwa 25% der dortigen Regeln aus der Baugesetzgebung gestrichen wurden. Generell wünscht sich Reimann ein entschlossenes, pragmatisches Handeln und das Ausbrechen aus bisherigen Denkmustern. Derzeit halte man zu sehr an bisherigen Praktiken fest, die schon in der Vergangenheit keine Wirkung gezeigt hätten.

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